Unser Dorfplatz Annenwalde, Vorwerk Annenwalde, Densow, Alt und Neu Placht
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 5.5 Die Geschichte der Annenwalder Schifferzunft

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5.5 Zur Geschichte der Annenwalder Schifferzunft

 

Im Winkel, im Hause Nr. 3, wohnt die Familie Prütz. Dort wird das Modell eines Havel-Deckkahnes aufbewahrt, das Zeichen der Annenwalder Schiffer. Dieser Kahn, über alles gemessen, ist 135 cm lang und bis zur listspitze 95 cm hoch. Er ist 1880 oder kurz zuvor bei dem Schiffs­baumeister Pape in Oderberg gebaut worden. Der Kahn wur­de jeweils beim Altmeister aufbewahrt. Mit der Zeit hat­te er durch das lange Liegen auf dem Boden etwas gelitten. Der Schiffseigner Albert Prütz hat im Winter von 1941 zu 1942 viele Abende darangegeben, um in Gemein­schaft mit seinem Sohn, dem Bootsmann Karl Prütz, das Schiff wieder in beste Ordnung zu bringen.

Was mir damals der Vater des Herrn Albert Prütz, der frühere Schiffseigner Paul Prütz (geb.1871 gest. 1956) aus dem Leben der Annenwalder Schiffer erzählte, will ich hier aufschreiben.

"Dazumalen (so pflegte er gern zu sagen) wohnten in Annenwalde ja eine ganze Menge Schiffer. Wenn ich hier im Winkel anfange, da waren dann erst mal wir. Mein Vater Carl Prütz fuhr bis 1915. Seit 1896 hatte ich selbst einen Kahn. Mein Bruder Albert kaufte sich 1901 einen Kahn. 1930 erwarb er einen eisernen Kahn. Ein Stückchen weiter in Nr. 6 und 7 wohnten die beiden Schiffseigner Wilhelm Haack und Karl Bielke. Noch ein Stück weiter wohnte Friedrich Wille zur Miete. Das Haus Nr. 26 gegenüber dem Spritzenhaus gehörte dem Schiffseigner Carl Koch. Na, und richtig, in Nr. 1 wohn­te noch Wilhelm Marschner. In Manchen Jahren waren al­so 7 bis 8 Kähne in Annenwalde beheimatet. Dann aber wohnten hier noch mehrere Schiffer, die nicht Eigner waren, sondern als Bootsleute fuhren. Da waren die Kreutzmann und Schneider und Krebs, von denen jede Fa­milie zwei, manchmal auch drei und vier Männer stellte.


 

(In Schulversäumnislisten zwischen 1875 und 1890 finde ich außer den von Herrn Prütz angegebenen Namen noch folgende Familien, bei denen als Beruf des Vaters ange­geben ist Schiffer: Karl Daniel, Wilhelm Weidemann, Her­mann Kretschmann und Karl Schulmeister). Die Schiffs‑

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eigner waren zumeist auch Hausbesitzer, hatten ein klei­nes Stück Land und hielten sich etwas Vieh. Bis in die neunziger Jahre war es nicht Mode, daß die Frau mit auf Schifffahrt ging. Dazumalen hatten die Kähne keine vor­dere Kajüt. Der Steuermann wohnte mit seinem Bootsmann in der hinteren Kajüte. Hätte der Steuermann, und das war ja der Schiffseigner, auch seine Frau mitgenommen,

dann hätte der Bootsmann im Segelkasten schlafen müs­sen. Das hätte ihm denn doch nicht gepaßt. Die Frau blieb also daheim und besorgte die Wirtschaft. Auf dem Kahn mußte der Bootsmann auch den Koch machen. So um Martini rum war die Saison zu Ende, auch wenn es noch keinen Frost gegeben hatte. Aber dann war meist schon keine Ladung mehr zu kriegen. Es wollte auch keiner weit ab von zu Hause einfrieren und dort überwintern müssen. In einer Zeit, wo noch kaum Dampfer fuhren und bestimmt keine eisernen Kähne, die bei Eis eine Fahrrin­ne schufen, legte schon die dünnste Eisdecke die Schiff­fahrt still. Während des Winters waren Wir nicht untä­tig. Da zogen wir zunächst mit dem Hökelhaken in den Wald, um die trockenen Äste von den Bäumen herunterzu­holen. Die wurden nachher mit dem Hundewagen oder dem Schlitten nach Hause gebracht. Auch auf dem Gut und bei den wenigen Bauern fand sich Arbeit. Noch mußte ja al­les Getreide mit dem Flegel gedroschen werden. Das er­brachte den Tag 1 Mark, sonnabends gar nur 90 Pfennig. Den Sommer über verdiente ein tüchtiger Bootsmann 300 Mark, vor dem 1. Weltkrieg sogar bis 400 Mark, dazu na­türlich freie Verpflegung.

So nach Weihnachten rum kamen auch Schiffseigner aus anderen Dörfern, um sich hier für die nächste Saison, die etwa am 1. April begann, einen Bootsmann zu sichern. Wer einen tüchtigen Bootsbann hatte, mit dem er auf je­dem Wasser fahren konnte, der versuchte auch, diesen bei sich zu behalten. Die meisten Schiffer hatten auch ihre bestimmte Firma, für die sie fuhren.

Das Ereignis des langen Winters war der Schifffer­ball, der meist bald nach Neujahr gefeiert wurde. Am. Donnerstag wurden vor dem Gasthof die Masten gesto­chen (aufgerichtet). Rechts und links der Tür standen

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zwei mit Girlanden umwundene Masten, an. denen große Fah­nen im Winde wehten. Zwischen den Masten war auch noch eine Girlande gespannt. Darunter hing der mit vielen bunten Seidenbändern geschmückte Kahn, an dem noch eine Tafel befestigt war mit der Inschrift: Es lebe die Schiff­fahrt! Anschließend war Von 9 bis 12 Uhr ein Umzug mit Musik. Vor dem Hause jedes Schiffers gab es ein Ständchen besonders natürlich beim Altmeister. 1886 war das der Bootseigner Schneider, später mein Vater Carl Prütz (geb.1845 gest.1922). Bis 1886 war es üblich, daß auch der Gutsbesitzer ein Ständchen erhielt. Am Nachmittag, fing schon der Tanz an. Manchmal waren bis zu 16 Musiker hier. Dazu malen gab es noch keinen Saal. In dem kleinen Raum des Gasthauses hatten aber lange nicht alle Tanzlustigen Platz. Ein alter Schiffer gab dann immer mit einer Klingel das Zeichen, daß nun die eine Sorte aufhören mußte zu tanzen damit die andern an die Reihe kämen. Aber es sollten noch alle auf ihre Kosten kommen, denn es wurde 2 Tage und 2 Nächte gefeiert. Am Sonnabend wurden dann die Masten gelegt. Dieweilen man jedoch nicht so schnell das Ende finden konnte, war am Abend noch eine Nachfeier, zu der aber die Schiffer selbst aufspielten. Wir hatten eine recht ordentliche Kapelle, bei der ich mit Eifer den großen Baß gestrichen habe. Manchmal gab es leider auch Streit und Schlägereien. Schlimm war es besonders 1899, als die Söhne des Schiffers Daniels mit dem Sohn des Webers Siebenhühner (beide Familien wohn­ten übrigens in dem ganz alten, damals nicht benutzten Schulhaus) Streit anfingen und diesen mit Messern schwer verletzten. Der eine Daniel wurde zu 1 1/2 Jah­ren Gefängnis verurteilt. Dann war einige Jahre kein Schifferball. Und später ist er nie mehr so schön geworden."

Herr Albert Prütz (geb.1897),der Sohn des Paul Prütz, dessen Bericht ich hier niedergeschrieben habe, hat mir inzwischen (1969) noch folgendes erzählt:

"Ich bin 1912 aus der Schule gekommen und sofort zu meinem Vater auf den Kahn gegangen. 1922 habe ich gehei­ratet und auch den Kahn von meinem Vater übernommen. Meine Frau war mit auf dem Kahn und mußte immer viel

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helfen. Wir haben zu der Zeit vorwiegend Brennholz nach Berlin gefahren. Je nach der Trockenheit des Holzes konnten wir 360 bis 400 rm (Raummeter) laden. Der Kahn hatte eine Tragfähigkeit von 226 t. Von der Ablage wurde das Holz mit der Karre auf einem schma­len Laufbrett auf den Kahn gebracht. So etwa 3/4 rm wurden jeweils auf die Karre geladen. Nach 1925 haben wir dann meist Mauerziegel aus den Zehdenicker Ziege­leien nach Berlin gebracht. Kräne und ähnliche Erleich­terungen wie heute wurden zu der Zeit kaum genutzt. Beim Einladen ließ man die Steine auf einem mit Blech beschlagenen Brett in den Kahn rutschen, wo sie dann nur noch gepackt zu werden brauchten. Im Gegensatz zu den Holzablagen hatten wir an den Ziegeleien ein fe­stes Bollwerk. Wir konnten also unmittelbar an den La­gerplatz heranfahren. Das Einladen schafften wir meist an einem Tag, vorausgesetzt, daß genügend Steine am Lager­platzwaren oder herangeschafft werden konnten. Beim Aus­laden aber kam wieder die Karre in Benutzung. Jeweils 100 Steine kamen auf die Karre. Zwei Mann karrten. Da­bei war es die Regel, daß bis zum Frühstück 5 000 und bis Mittag 10 000 Steine ausgeladen sein mußten. Am Nachmit­tag kamen dann noch 8000 Stück dazu. Da eine Kahnladung so 58 000 bis 60 000 Steine enthielt, brauchten wir also zum Ausladen etwa 3 1/2 Tage.

Gewiß gab es damals auch schon Schleppdampfer. Aber das Geld wollten wir uns selbst verdienen. Ein Schlepp von Zehdenick bis Liebenwalde kostete um 1325 immerhin 11,40. Mark. War nur einigermaßen günstiger Wind, so wur­de der Mast aufgerichtet, die Segel wurden gesetzt und wir segelten. Sonst wurde eben gestakt. Damals standen oft die Kreweliner Bauern mit ihren Pferden am Voßkanal (Zehdenick-Liebenwalde) und boten sich zum Treideln an. Aber das kostete doch auch wieder Geld.

Ganz schrecklich war für uns die Inflationszeit. Ich erinnere mich, wie einmal mein vieles Geld bei Schleu­se Schorfheide nicht mehr reichte, um auch nur die Schleu­sengebühren zu bezahlen. Ich mußte den Kahn stehen las­sen, setzte mich aufs Rad und fuhr nach Berlin. Dort ließ ich mir auf die Ladung einen Vorschuß geben. Ich

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radelte zurück, bezahlte, und wir konnten weiterfahren. Aber der Ankunft in Lehnitz war der Dollarkurs schon erneut so weit gestiegen, daß der Rest des Geldes wie­der nicht mehr reichte, um das Schleusengeld bezahlen zu können. Einmal (so berichtete Frau Prütz) haben wir für eine ganze Fahrt einschließlich Ein- und Aus­laden soviel Geld erhalten, daß ich, obwohl ich damit so­fort in den nächsten Laden lief, eben noch 4 Pfund Schmalz erhielt. Dabei war das noch das billigste Fett. Auch die Krisenzeit Ende der zwanziger Jahre war für uns sehr bitter. Meist lagen wir mit vielen andern Schiffern untätig in Zehdenick und warteten auf Ladung. In dem einen Jahr haben wir insgesamt nur 3 Fahrten gemacht. Aber eine Arbeitslosenunterstützung bekamen wir nicht.

Doch das ändert alles nichts daran: Diese gut zwei Jahrzehnte auf dem Wasser waren eine schöne Zeit, und der Abschied von unserm Kahn ist uns sehr schwer gefallen. Ob es auf der Havel war oder auf den Gewässern im Gebiet der Müritz, ob auf den Kanälen südlich Berlin, es war überall schön. Wenn der für den Tag vorgesehene Liege­platz erreicht war oder die untergehende Sonne uns zum Halten zwang, wenn es im Walde rechts und links des Gewässers ganz still wurde, wenn wir dann noch ein kleines Weilchen an Deck saßen, ach, das kann man garnicht alles so erzählen."

Herr Prütz hat 1955 wegen seines Alters die Schiff­fahrt aufgegeben. Es kam hinzu, daß an dem Holzkahn umfangreiche Reparaturen nötig waren, die nicht mehr lohn­ten. Der Sohn, der auch schon beim Vater als Bootsmann gefahren war, hatte aus dem Krieg eine so schwere Ver­wundung mitgebracht, daß er diesen Beruf nicht mehr aus­üben konnte. So wohnt heute in Annenwalde kein Schiffer mehr, der diesen Beruf noch ausübt.

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