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Geschrieben 1937
Es waren wohl ein halbes Dutzend Bekannte, die ich an einem Sonnabend im Juli auf dem Stettiner Bahnhof in Berlin traf. Sie eilten wie ich dem Zuge zu, von dem die schwarze Tafel am Kopfende des Bahnsteiges sagte: Pz 213 Neubrandenburg-Stralsund, Abfahrt 15.16 Uhr. Als der Zug in Oranienburg hielt, erzählten wir eben vom Annenwalder Schützenfest, das auch morgen wieder sein sollte. In Löwenberg sahen wir auf dem Nebengleis den Zug stehen, der uns über Zehdenick nach Templin gebracht hätte. Aber wir blieben auf unsern Plätzen und stiegen zusammen in Fürstenberg um. Das war nicht schwierig. Man trägt keine vollen Koffer nach Annenwalde. Wenn man wieder nach Berlin fährt, pflegt das Gepäck meist etwas schwerer zu sein. Wir müssen durch eine Unterführung. Auf dem ersten Gleis steht schon der Triebwagen, der uns weiterbringen soll. Die Bahnhofsuhr zeigt 17.30 Uhr. In 40 Minuten werden wir am Ziel unserer Reise sein. Der Zug hält in Himmelpfort. Still und einsam liegt der Bahnhof mitten im Wald. Von dem bekannten Klosterdorf ist nichts zu sehen. Viele Reisende verlassen den Zug. Aber weit mehr steigen in Lychen aus, der Stadt zwischen den Seen. Ein schönes Bild bietet sich uns, als der Zug über eine Brücke rollt. Rechts sehen wir die weite Fläche des Großen Lychensees, links erfreut uns das Stadtbild, überragt von der wuchtigen Kirche. Auf dem Bahnhof Hohenlychen werden wir durch Leute, die an Stöcken oder gar an Krücken humpeln oder einen Arm in einem großen Drahtgestell tragen, daran erinnert, daß sich hier die bekannten Heilstätten befinden. Unser Zug eilt weiter durch herrlichen Buchenwald, der zur Stadtforst Lychen gehört. Von der Haltestelle Tangersdorf ab sehen wir nur noch Kiefernwald. Wir fahren hier durch den nördlichen Zipfel der Schorfheide. Wo der Wald aufhört, liegt der Bahnhof Neu Placht. Wir sind am Ziel unserer Bahnfahrt. Auf dem Bahnsteig steht eine ganze Batterie leerer Milchkannen, die aus der Molkerei Templin zurückgekommen sind und die der Milchwagen morgen früh wieder
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mitnehmen wird, wenn er aus Annenwalde die vollen Kannen zur Bahn bringt. Auf dem Ladegleis wird grad ein Waggon Dünger entladen. Die Arbeiter, sie sind vom Gut Annenwalde, winken uns freundlich zu. Die Männer, die dort Grubenholz verladen, sind auch aus Annen-walde. Vor dem Bahnhof hält Herr Müller mit seiner Kutsche. Drei von unsern Mitreisenden machen noch eine angenehme Wagenfahrt von 20 Minuten. Gleichmäßig rollt der Wagen die glatte Straße bis Densow und stuckert dann noch einen Kilometer über einen holprigen Pflasterdamm. Wir aber haben uns eine schöne Fußwanderung vorgenommen, die etwa 45 Minuten dauern wird. Nachdem wir die Chaussee überquert haben, wandern wir auf einem schmalen Waldweg am Gut Neuplacht vorbei. Dann führt uns ein breiter Feldweg durch wogende Kornfelder. Ein Feldrain bildet die Grenze zwischen der Neuplachter und der Annenwalder Feldmark. Wir kommen über das sandige, zum Teil aufgeforstete Tegefeld (Ziegeleifeld). Von einer Ziegelei ist aber nichts mehr zu sehen. Steil fällt das Gelände zu den Wiesen ab, die sich in einem etwa 200 Meter breiten Tal vom Dorfe Densow bis zum Annenwalder See hinziehen. Wir haben hier eine schöne Sicht auf das Dorf mit seinen niedrigen Häusern, die von der turmlosen Kirche überragt werden. Der Wiesenweg schwankt auf morastigem Grunde. Dann sind wir auf der Straße, die von Röddelin und Beutel herkommt. Am Schmiedende betreten wir das Dorf. Das erste Gebäude rechts ist die Schmiede. Auf dem Vorplatz stehen Wagen, Pflüge und einzelne Räder. Aus der Schmiede hören wir den kräftigen Schlag der Hämmer. Ein beißend angenehmer Geruch sagt uns, daß hier eben Pferde beschlagen werden. Wir sehen gradaus in den "Winkel", eine Sackgasse, die nur auf einer Seite mit niedrigen, gleichartigen Häusern bebaut ist. Die andere Seite beansprucht die große Gutsscheune für sich. Wir kommen jetzt in die Dorfstraße, die von hohen, mächtigen Linden gesäumt wird. Die kleinen, alten Häuser an der rechten Straßenseite sehen dadurch noch niedriger und geduckter aus. Auf der linken Seite erblicken wir die Stallungen des Gutes und 100 Meter einwärts gelegen das Gutshaus. Hier steht auch, aber hart an der Straße, die für das kleine Dorf auffallend
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große Kirche, die wir uns morgen genauer ansehen wollen. Vor der Kirche hängt auf einem lindenumsäumten Grasplatz -dem Grosbrink- die Glocke in einem aus gewichtigen Balken gefügten Glockenstuhl. Drüben steht die Strohreihe, das älteste Annenwalder Haus. Die Dorfstraße macht eine stumpfwinklige Biegung nach Nordwest. Das Eckhaus hat sich dem angepaßt, als wollte es beweisen, daß nicht alle Häuser rechtwinklig zu sein brauchen. Gegenüber liegt ein schmuckes Haus, dem wir nicht ansehen, aß es die Schule ist. Die Straße ist wieder nur einseitig bebaut. Sie ist gleichfalls von prächtigen Linden eingefaßt, die in voller Blüte stehen. Ein Duft nach Honig erfüllt die Luft, und ein vieltausendfaches Summen beweist uns, daß des Lehrers Bienen fleißig bei der Arbeit sind. Die rechte Straßenseite gestattet uns einen weiten Blick über sommerliche Gärten und reifende Felder. Einsam steht auf dieser Straßenseite ein fensterloses Gebäude, das Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr. Ein nahrhafter Geruch, der von jenem Hofe kommt, verrät uns mit Sicherheit, daß dort eine Bäckerei ist. Ein ärmliches Häuschen konnte keinen besseren Platz finden, als sich quer zur Straße zu stellen. Und die Straße macht gehorsam einen Bogen herum. Scharf links zweigt der "Glasweg" ab, auf dem wir zunächst zum Friedhof und dann durch den Wald zur Havel kämen. Die Dorfstraße läuft in der "Hüttenreihe" weiter. An dieser Straße, eigentlich ist es nur ein Landweg, stehen in der Nähe des Waldes noch einige Gehöfte. Der Volksmund nennt sie heute, aus mir unbekannten Gründen, unschön "Klein Amerika". Ein Wegweiser sagt uns, daß wir hier nach Bredereiche und Tangersdorf kämen. Aber eine Verbotstafel belehrt uns, daß wir diesen Weg nicht gehen und die Schorfheide nur von außen ansehen dürfen. Also kehren wir wieder zurück ins Dorf. Wir wollen sehen, was wir aus seinen alten Tagen erfahren können.