Unser Dorfplatz Annenwalde, Vorwerk Annenwalde, Densow, Alt und Neu Placht
 Unser DorfplatzAnnenwalde, Vorwerk Annenwalde, Densow, Alt und Neu Placht

Teil 4: Dorfgeschichte allgemein bis 1971

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4. Die Geschichte des Dorfes bis zur Gegenwart


 

4.1 Wie Annenwalde gegründet wurde

 

Diesen im vorigen Abschnitt geschilderten Tendenzen, Vermehrung der Bevölkerung und Hebung der Manufakturen, verdankt auch unser Dorf sein Entstehen.

In einer Kabinettsorder vom 31.12.1746 hatte König Friedrich II. die Richtlinien festgelegt, nach denen die Besiedlung der in Frage kommenden Gebiete erfolgen sollte. Von den zur Ausführung des Siedlungsplanes gegebenen Möglichkeiten gab der König der Entrepreneurmethode den Vorzug. Der Entrepreneur (Unternehmer), der moderne Locator, erhielt ein Gebiet von 1000 bis 3000 Morgen, unbeschadet des Obereigentums des jeweiligen Grundherren (Staat, Städte, geistliche Stifter) erb- und eigentümlich als Allodium (Freigut) überwiesen. Er hatte dafür einen Kanon (regelmäßig zu zahlenden Grundzins) zu entrichten. Einen Teil der Fläche übernahm er in eigene Bewirtschaftung, den größeren Teil aber hatte er zur Ansetzung ausländischer Kolonisten zu verwenden. Ausländer aber waren nicht etwa Franzosen oder Holländer, sondern Mecklenburger, Sachsen, Franken und Pfälzer. Den Kolonisten hatte der Entrepreneur die Gebäude zu errichten, sowie die Hofwehr und die erste Aussaat zu beschaffen. Zur lebenden Hofwehr gehörten in der Kurmark 2 Pferde, 2 Ochsen, 4 Kühe und 1 Zuchtsau im Gesamtwert von 75 Talern. Die Höhe der von den Kolonisten zu zahlenden Erbpacht und der Umfang der von ihnen zu leistenden Naturaldienste waren im Ansetzungsvertrag festzulegen. Wenn auch aus den königlichen Forsten das Bauholz umsonst oder zu einem geringen Preis abgegeben wurde, so mußte der Unternehmer doch ein finanzkräftiger Mann sein, um die ersten Jahre überstehen zu können. Es gab Beamte des Königs, die geradezu auf der Suche nach Entrepreneuren waren. Dazu gehörte auch der sehr rührige Kommissar, spätere Kriegs- und Domänenrat Pfeiffer, der in allen Siedlungsfragen besonderen Einfluß auf den König hatte. Er war es auch der am 10.Juli 1753 dem König einen Bericht einreichte, in welchem er nicht nur einen neuen

 

 

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Entrepreneur namhaft machte, sondern auch Proben von inländischem Porcellain beifügte, wie es angeblich der Unternehmer, der aus dem Mecklenburgischen gekommene Glasmacher Johann Friedrich Zimmermann, fertigte. Dieser Zimmermann war ein mecklenburgischer Amtsrat aus Wrechen bei Feldberg, wo er vorher vermutlich auch eine Glashütte betrieben hatte. Es ist nicht bekannt, warum Zimmermann diese Hütte aufgegeben hat.

Die bedeutendste kurmärkische Glashütte, die zu Potsdam, an der Johann Kunckel, der berühmteste aller Glasmacher, gewirkt hatte, war wegen Holzmangels 1736 nach Zechlin bei Rheinsberg verlegt worden. Der Inhaber der Zechliner Hütte war der Amtsrat Stropp. Er ließ vorwiegend das wertvolle Kristallglas herstellen. Als er die Erlaubnis erhielt, auch eine grüne Hütte anlegen zu dürfen, in der also gewöhnliches grünes Glas hergestellt werden sollte, übertrug er diese Erlaubnis dem. Amtsrat Zimmermann, der dann auch 1741 die "Grüne Hütte am Wurmsee" errichtete. Er behielt die Pacht bis 1755. Da der Amtsrat Stropp mehrere Söhne hatte, von denen einer die "Grüne Hütte" übernehmen sollte, kam eine Verlängerung der Pacht für Zimmermann nicht in Frage. Es scheinen auch persönliche Differenzen vorgelegen zu haben, die aber nicht mit der Pacht endeten. Jedenfalls sah sich Zimmermann rechtzeitig nach einer anderen Tätigkeit um und kam so mit dem Kriegsrat Pfeiffer in Verbindung. Beide entwarfen einen Vertrag, dessen hauptsächlichste Punkte waren: In einer abgelegenen Feld­mark namens Denso, wo Holz nicht zu debitiren (verkaufen) war, wollte Zimmermann eine Porcellaine-Fabrique nebst einer grünen Glashütte anlegen. Das benötigte Holz sollte der Billigkeit nach bezahlt und ein proportionierlicher (angemessener) Grundzins entrichtet werden. Mit einer fast unwahrscheinlich anmutenden Schnelligkeit antwortete der König bereits am 14.7.1753. Er war mit dem Plan grundsätzlich einverstanden. Ihm war aber eingefallen, daß kurz zuvor schon ein anderer solche Fabrik gegründet habe, "wovon aber wenig oder nichts zum Vorschein gekommen." Pfeiffer sollte veranlassen, daß die beiden Unternehmer "diese Sache

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nach des Zimmermanns Vorschlag gemeinschaftlich betreiben." Es vergehen 5 Monate, bis Pfeiffer am 9.12.1753 dem König berichten muß, daß er sich zwar alle Mühe gegeben habe, die Vereinigung aber nicht zustande bringen könnte. Der Herr Zimmermann hat insbesondere einzuwenden, daß sich der andere Entrepreneur, "welcher sich Mundt nennet, in großer Armut befindet" und "der Ort, wo die Fabrique angeleget, die nötigen Requisiten nicht habe."

Pfeiffer wußte, daß er dem König mit einer nur negativen Antwort nicht kommen durfte. Er erweiterte daher den Vorschlag vom 10.Juli dahingehend, Zimmermann wolle auch 20 ausländische Familien ansetzen und nach einer gewissen Zahl von Freijahren einen Grundzins von 307 Talern entrichten. Noch verschweigt er dem König, daß er über das alles mit dem Zimmermann bereits einen richtigen Vertrag abgeschlossen hat. Solche Eigenmächtigkeit hätte Friedrich vielleicht doch mißbilligt. So aber antwortet er schon am 15.12.1753, daß er die gedachte Entre-prise (Unternehmen) unter den gemeldeten Conditiones (Bedingungen) accordiret (genehmigt) habe. Am 19.12.1753 beauftragt er die Kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer, einen ordentlichen Vertrag mit dem Zimmermann abzuschließen, das Gelände zu vermessen, zu vereinbaren, wie die 20 ausländischen Familien angesetzt werden sollen, Anschläge über das erforderliche Bauholz einzusenden und auch den Preis des für die Glas­fabrikation benötigten Holzes festzusetzen. "Es ist dieses aber alles zu beschleunigen", fügt der König noch hinzu. Er kennt wohl seine Pappenheimer. Und die Kammer läßt die Sache wirklich erst einmal über eine Woche liegen. Dann aber trabt der Amtsschimmel los. "Der Herr Kriegsrat Pfeiffer wolle diese erforderlichen Nachrichten dem Collegio sobald als möglich zur weiteren Verfügung übergeben." So waren die Herren Bürokraten die Arbeit wieder einmal los. Aber nicht nur der Amtsschimmel trabte langsam, auch die Postmähre, die mit Briefen für den König höchsten Galopp anschlug, hinkte jetzt gewaltig. Oder lag der Schnee zu hoch?

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Das Schreiben der Kammer vom 28.12.1753 erreichte den Kriegsrat Pfeiffer erst am 17.1.1754, zu welcher Zeit er sich in Zechlin aufhielt, wo, wie erinnerlich, Zimmermann die "Grüne Hütte" in Pacht hatte. In dem Bestreben, das eingeleitete Unternehmen möglichst bald fertig zu sehen, hatte Pfeiffer schon alle not-wendigen Formalitäten erfüllt. Eine Kommission, von der uns nicht bekannt ist, wer sie ermächtigt hatte und wie sie zusam­mengesetzt war, hatte bereits im Herbst 1753 die wüste Feldmark Denso "in loco" (an Ort und Stelle) untersucht und gefunden, daß die gewählte Stelle für den intendierten (beabsichtigten) Zweck sehr wohl zu aptieren (zurechtzumachen) wäre. Weiter hatte ein Ingenieur Bach die Grenzen der in Aussicht genommenen Feldmark vermessen, ein Register angelegt und eine Karte gezeichnet. Daraufhin hatten der Kriegsrat Pfeiffer und der Amtsrat Zimmermann am 5.11.1753 in Berlin einen ausführlichen Vertrag aufgesetzt und gegenseitig unterschrieben. Da der König den Plan grundsätzlich genehmigt hatte, schien Pfeiffer keine Bedenken zu. haben, dem Zimmermann die Feldmark vorläufig zu übergeben. Andrerseits muß uns die an den Tag gelegte Eile doch verdächtig erscheinen. Wahrscheinlich wollte Pfeiffer die Kriegs- und Domänenkammer vor eine gegebene Tatsache stellen, um so zu verhindern, daß der ganze Plan, an den mit Bestimmtheit zu erwartenden Einwänden und Spitzfindigkeiten der Kammer scheitere. Jedenfalls meldet er "in gehorsamster Antwort", daß er bereits ehegestern dem Amtsrat Zimmermann "mit Zuziehung des Beamten und Forstbedienten die Feldmark quasi übergeben habe." Da er das am 17.1.1754 schreibt, ist die Übergabe also am 15.1.1754 erfolgt.


 

Der 15.Januar 1754 dürfte mithin als der Gründungstag von Annenwalde anzusehen sein!


 

Der bei der Übergabe zugezogene Beamte gehörte wahrscheinlich zur Domänenverwaltung Badingen. Wo der zuständige Forstbediente wohnte, ist nicht bekannt. Nach-stehend eine kurze Übersicht über den Inhalt des am 5.11.1753 abgeschlossenen Ansiedlungsvertrages. Amtsrat Zimmermann übernimmt folgende Verpflichtungen:

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1. Er wird eine Porcellaine und grüne Glashütte anlegen.

2. Er wird die Feldmark mit 4 Bauern, 4 Büdnern und 12 kleinen Wirten besetzen. 3. Aus dem Überschuß des Ackers und der Wiesen wird er für sich ein Vorwerk bilden. 4. Das auf der Feldmark stehende Holz wird er nach und nach für die Glashütte verbrauchen und jede Klafter mit 6 Groschen 9 Pfennig bezahlen. 5. Den jetzigen Hütungsinteressenten soll weiterhin die Mithut auf der Feldmark gestattet sein.

 

Demgegenüber stellt Zimmermann folgende Bedingungen:

1. Er erhält freies Bauholz für seine und der Kolonisten Gebäude, für die Glashütte, für eine Kirche und eine Windmühle. Das Reparaturholz später ist gegen 1/3-teilige Bezahlung zu liefern. Das benötigte Brennholz darf als Lager- und Leseholz frei aus dem Walde entnommen werden. 2. Der Densowsee wird Herrn Zimmermann gegen beständige Erlegung der jetzigen Pacht erblich überlassen. 3. Er erhält 10 Freijahre (in denen also Steuern und Grundzins nicht zu entrichtet werden brauchen). 4. Die in den umliegenden Königlichen Forsten befindlichen faulen Buchen, Rüstern und Linden, sowie das Zopfholz erhält er ohne Entgelt, um daraus die für die Glasfabrikation benötigte Asche brennen zu lassen. 5. Es wird ihm erlaubt, in den Städten Templin, Prenzlau und Lychen sowie in den daherum liegenden Pottaschesiedereien die ausgelohrte und gebrannte Asche, desgleichen die Seifensieder-asche und die Glasbrocken in Berlin und Potsdam aufkaufen zu dürfen.

6. In allen preußischen Ländern wird ihm bei Vertreibung des Glases Zollfreiheit gewährt. 7. Er erhält die Jurisdiktion (niedere Gerichtsbarkeit) über die anzusetzenden Kolonisten. Diese sind befreit von aller gewaltsamen Werbung (d.h. sie brauchen nicht Soldat zu werden) und von allen öffentlichen Abgaben. 8. Ihm wird die Brau-, Branntweinbrennerei- und Mühlengerechtigkeit für seinen und der Kolonisten Bedarf bewilligt. 9. Ihm wird die Mithütung in den Königlichen Heiden und die kleine Jagd auf der Feldmark zugestanden.

Die Mast von den auf der Feldmark stehenden Eichen und Buchen wird ihm solange gratis überlassen, bis dieses Holz verbraucht ist.

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Mit diesem Vertrag war der ganze Handel nun noch keineswegs rechtskräftig. Dazu mußte erst die vom Generaldirektorium auszufertigende Erbverschreibung vorliegen. Es war aber auch kein Grund gegeben, den Aufbau der Entreprise solange hinauszuschieben, bis die Erbverschreibung vorlag. Zimmermann stützte, sich auf den Vertrag vom 5.11.1753, die am 15.1.1754 erfolgte Übergabe und insbesondere auf die königliche Zusage vom 15.12. 1753. Also ging er an die Arbeit. Zunächst holte er aus Mecklenburg 40 Glasmacherfamilien. Einige kamen anscheinend nicht unmittelbar aus Mecklenburg, sondern hatten inzwischen auf der "Grünen Hütte" in Zechlin gearbeitet. Nun begann im Frühjahr 1754 auf der wüsten Feldmark ein eifriges Fällen, Roden und Bauen. Bevor der Winter kam, sollten die ersten Häuser stehen. In 17 Wochen, so berichtet Pastor Sponholz in seiner Kirchenchronik, waren die Wohnhäuser fertig. Auswärtige Handwerker mußten zugezogen werden. Dornen und Disteln mußte man beseitigen, um ein Stück Acker zur Herbstsaat fertig zu machen. Dabei stellte sich dann noch heraus, daß "der meiste Acker aus schlechtem Sand-Lande bestehet." Der Amtsrat Zimmermann wird viele sorgenvolle Stunden gehabt haben. Denn manche tausend Taler mußte er zahlen, bevor auch nur der erste Groschen aus dem verkauften Glase einkam. Er wird den Kriegsrat Pfeiffer, der sich im Laufe des Sommers gewiß einmal von dem Aufbau der Kolonie überzeugte, ernstlich an die Erbverschreibung erinnert haben. Aber das Jahr 1754 verging, und Zimmermann war immer noch nicht Eigentümer. Endlich Anfang April 1755 traf ein großes gesie­geltes Schreiben vom Generaldirektorium ein. Aber es enthielt nicht die erhoffte Erbverschreibung, sondern einen neuen Vertragsentwurf, den man auf Grund eines ganz neuen und anders-artigen Anschlages fertiggestellt hatte. Was Herrn Zimmermann am meisten erschreckte und den neuen Vertrag für ihn unannehmbar machte, war die vorgesehene Erhöhung der Erbpacht von 307 auf 730 Taler. Die in dem Bericht vom 9.12.1753 genannte Erbpacht hatte man so errechnet: 12 Bauern zahlen je 24 Taler 10 Sgr., zusammen 293 Taler, die kleine Jagd

 

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wird mit 2, die Mühlen-und Braugerechtigkeit mit 12 Taler veranschlagt, ergibt insgesamt 307 Taler. Diese Berechnung war in einem Anschlage enthalten, von dem in der Einleitung zu dem Vertrage vom 5.11.1753 die Rede ist. Auffällig ist auch, daß in dem Plan und dem Anschlag von 12 Bauern mit je 140 Morgen (120 Morgen Acker, 18 Morgen Wiese und 2 Morgen Garten) gesprochen wird, der neue Vertrag aber nur noch 4 Bauern, 4 Kossäten und 12 kleine Wirte nennt. Der neue Anschlag sah vor, daß jeder Bauer 35 Taler erlegen sollte, für das Vorwerk sollten 20, für das Holz zur Brauerei 50, für Mühlenpacht 30 und an Heidemiete 15 Taler gezahlt werden. Insgesamt errechnete die Etablissements-Kommission so 730 Taler. Zimmermann erhebt natürlich gegen diese erhebliche Mehrbelastung Einspruch. Sein Schreiben vom 17.April 1755 ist in Berlin aufgesetzt, anscheinend von einem Advokaten. Er erklärt sich außerstande, den hohen Satz von 730 Talern zahlen zu können. Er müsse doch auch noch die Zinsen des aufgewendeten Kapitals in Anschlag bringen, und dieses Kapital veranschlagt er bis zur Fertigstellung der Entreprise auf über 10 000 Taler. In das Unternehmen sind aber von ihm nun schon erhebliche Gelder hineingesteckt worden. Jetzt kann er so leicht nicht mehr zurück. Er zeigt daher Entgegenkommen und erbietet sich, einen dauernden und beständigen Kanon von 500 Talern zu erlegen. Unter keinen Umständen würde er zu einer höheren Zahlung bereit sein. "...so will ich mich anoch finaliter dahin erklärt haben..." Sollte aber dieser Vorschlag nicht angenommen und die übrigen bekannten Bedingungen nicht erfüllt werden, so wolle er gegen Erstattung der nachweislich bereits aufgewendeten Kosten die ganze Entreprise zurückgeben und mit seinen "ins Land eingebrachten beinahe 40 Familien wieder außer Landes gehen und sich mit selbigen in Mecklenburg niedersetzen." Außerdem behält er sich in diesem Falle vor, sich "bei Sr. Majestät allerhöchster Person zu melden, welches eine Königliche Kommission mir auch hoffentlich nicht ungeneigt auszulegen geruhen wird." Obwohl der Herr Zimmermann zum Schluß einen ganzen Absatz zu Höflichkeitsbezeugungen verwendet und

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alle gebührende und erdenkbare Hochachtung des untertänig gehorsamsten Dieners zum Ausdruck bringt, hat man ihm seine Drohung in der Kommission sehr ungnädig ausgelegt. Die Antwort erfolgt schon am 25.April 1755. "An den Zimmermann in Denso." Also: Annenwalde gab es immer noch nicht, genauer gesagt, der Name existierte amtlich noch nicht. Der Inhalt des Schreibens sei hier kurz wiedergegeben: Es ist ein Irrtum, daß der König die von dem Pfeiffer zugestandenen Bedingungen alle genehmigt habe. Der Pfeiffersche Bericht vom 9.12.1753 enthalte nur wenige von "denen ominösen conditionen", welche später in der Erbverschreibung erwähnt werden. Der König wünsche auch nicht, daß die Forsten weiterhin zerstört werden. Wenn daher der Amtsrat Zimmermann nicht schon erhebliche Kosten für die Anlage einer Glashütte aufgewendet hätte, so würde ihm das jetzt überhaupt nicht mehr erlaubt werden. Es ist seine eigene Schuld, wenn er so sehr geeilet, statt abzuwarten, ob die entworfene Erbverschreibung vom Hohen General-Direktorium confirmiret (genehmigt) würde. Es bleibt auch dabei, daß in den Buchen nichts mehr gerodet werden darf. Der Herr Amtsrat solle sich nicht die Rechnung machen, als ob die Ansiedlung der Bauern usw. erst erfolge, nachdem der vorhandene Wald durch die Glashütte verbraucht ist. Vielmehr müssen die kleinen Wirte sofort angesetzt werden. Wann die Bauern und Kossäten etabliert werden müssen, darüber wird man sich noch einigen. Die Glashütte kann ihren Fortgang behalten, solange haubares büchenes Holzvorhanden ist. "Es ist schlechterdings unverantwortlich, gegen einen elenden Kanon von 12 Talern die Brau- und Brandtweinbrennerei auch Mühlengerechtigkeit zu accordieren." Zum Bau der Mühle und des Brauhauses ist soviel freies Holz veranschlagt, daß das Kapital an Holzgeld sich noch nicht mit 3% verzinst, ungerechnet das verschriebene freie Brennholz. Sollte der Herr Amtsrat auf eine solide und sehr überzeugende Art nachweisen können, daß der Ertrag niedriger ist oder die Kosten höher sind, als im Anschlage er-rechnet, so wolle das General-Direktorium noch etwas von dem Kanon von 665 Taler

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heruntersetzen. Wenn Zimmermann erwähnt, daß er allenfalls mit den 40 Familien wieder nach Mecklenburg gehen wolle, so vergißt er, daß diese 40 Familien nur seine Arbeitsleute und keine königlichen Untertanen sind, die zurückgehen können, wann sie wollen. Nicht abzusehen ist, wer in solchem Falle zur Erstattung der aufgewendeten Kosten angehalten werden könne, zumal solche bisher nur für die Glashütte gemacht worden sind. Soweit die Antwort des General-Direktoriums. Hier lassen sich schon ganz grundlegende Schwierigkeiten erkennen. In dem Bestreben, recht viele Manufakturen zu gründen, war wohl übersehen worden, daß Brandenburg mit Glashütten fast übersetzt war. Der in jener Zeit sich anbahnende Übergang von der extensiven zur intensiven Forstwirtschaft ließ solch einen Raubbau, wie er durch den Betrieb einer holzbefeuerten Glashütte bedingt war, nicht mehr zu. Schon wenige Jahre später erscheint eine Verordnung, nach der alle Glas-hütten auf Steinkohlenfeuerung umzustellen waren. Wahrscheinlich ist diese Verordnung vorwiegend deshalb erlassen worden, um den in den Schlesischen Kriegen eroberten oberschlesischen Kohlengruben einen ausreichenden Absatz zu sichern. Aber eine gewisse Rücksicht auf die Forstwirtschaft hat zweifellos auch mitgesprochen. Der Glasherr Zimmermann kam aus Mecklenburg, wo der Betrieb der Glashütten seit der Zeit des 30jährigen Krieges auf ganz anderer Grundlage aufgebaut war. Auch dort war auf den wüst gewordenen Feldmarken Wald gewachsen. Die Gutsbesitzer sind verarmt und können die verkommenen Felder nicht wieder in Kultur bringen. Unter diesen Umständen erscheinen die Glasmacher als Retter in der Not. Zunächst bieten sie eine lohnende Verwertung der großen Holzbestände, für die es sonst bei den mangelhaften Verkehrs-verhältnissen an Absatz fehlt. Außerdem liefern sie die abgeholzten Flächen dem Grundbesitzer in ausgerodetem und kulturfähigen Zustand wieder zurück.

Mit dem vorerwähnten Schreiben des Generaldirektoriums vom 25.4.1755 hören die Urkunden zunächst auf. Wir sind für einige Zeit nur auf Vermutungen angewie-

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sen. Zimmermann hatte sich durch erhebliche Investitionen schon so sehr gebunden, daß er weiterwirtschaften und sich darauf verlassen mußte, daß nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. 1756 begann der Siebenjährige Krieg zwischen Preußen und Oesterreich, der wohl dem Hohen Generaldirektorium auch mancherlei andere Arbeit gab. Zeitweilig stand sogar der Feind im Lande. 1760 waren die Russen in Berlin.

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4.2 Ein schlimmes Ende


 

Ungeachtet aller behördlichen Schwierigkeiten war aber das neue Dorf da, und die Glashütte hatte ihren Betrieb aufgenommen. Es ist mir bisher nicht bekannt, wann dem neuen Dorfe endlich auch amtlich der Name Annenwalde beigelegt wurde, obwohl Herr Zimmermann bereits 1753 in einem Schreiben an den Kriegsrat Pfeiffer um die Erlaubnis ersucht hatte, dem Etablissement diesen Namen geben zu dürfen. Das Annenwalder Kirchenbuch meldet: "Und wie nun dieses angelegte Dorf fertig war, so bekam es zu Ehren seiner Miterbauerin, der Frau Amtsrätin Anna Margaretha Zimmermann, geborener Erzenbachin, und weil es im Walde angelegt war, den Namen Annenwalde."

Zu den Schwierigkeiten, die von der Behörde gemacht wurden, kamen auch noch allerlei geschäftliche Sorgen. So ganz einfach war es nicht, die Erzeugnisse der Glashütte abzusetzen, die Konkurrenz war doch recht bedeutend. Zudem wird 1764 in allernächster Nähe in Placht dem heutigen Altplacht, noch eine Glashütte errichtet. Der Erbauer ist der Amtsrat Stropp, Besitzer der Grünen Hütte in Zechlin, die Herr Zimmermann wie erwähnt bis 1755 in Pacht gehabt hatte. Es nützte Zimmermann nichts, daß er in einem Schreiben vom 6.Mai 1764 gegen die vom König erteilte Konzession protestierte: Stropp wolle die Hütte nicht aus sachlichen Gründen, sondern lediglich aus Animosität gegen ihn (den Zimmermann) anlegen und dem benachbarten Annenwalde die Asche verteuern und den Absatz schmälern. Darauf kam am 30.Mai die Antwort des Königs: Er lasse sich nicht vorschreiben, weder ob noch wem er Conzessiones erteilen wolle. Dem Ersuchen des Supplikanten werde nicht stattgegeben. Merkwürdig bleibt allerdings, daß die gleiche Behörde, die 1755 schreibt, der König wünsche nicht, daß die Forsten noch mehr zerstört würden, 10 Jahre später die Genehmigung zum Bau einer weiteren Glashütte gibt.


 

Die Lage in Annenwalde verschlimmerte sich, als Herr Johann Friedrich Zimmermann am 28.8.1764 im Alter von fast 68 Jahren an der Wassersucht starb.

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Zunächst verwaltete die Witwe das Erbe. Aber schon am 9.8.1769 erlag sie einem Krebsleiden. Kurz zuvor hatte sie den Betrieb ihrem Sohn Johann Samuel Zimmermann übergeben.

Zu allem Unglück brach in der Nacht vom 28.zum 29.Oktober 1772 ein Brand aus, durch den "an der Seite nach Templin zu 9 Wohnungen von 1 bis 4 Uhr in Asche gelegt wurden." Es ist der sogenannte Winkel gewesen, der damals abbrannte.

Hatte schon der energische und unternehmungslustige Vater Mühe gehabt, das Unternehmen zu halten, dem Sohn gelang es nicht mehr. Ein Jahr nach dem Brande verpachtete J.S. Zimmermann Gut und Glashütte auf zunächst 6 Jahre an den Potsdamer Glasschnei-der und Glasfaktor Johann Christoph Brockes. Aber der Ruin war nicht mehr aufzuhalten. Schon Ende 1773 wird über das Vermögen des J.S. Zimmermann beim Uckermärkischen Obergericht in Prenzlau Konkurs verhängt. Ein Commissar Raute hatte wegen einer Wechselforderung von 500 Talern die Exekution beantragt. Der Landreiter Müller hatte darum nicht nur alle in Annenwalde befindlichen Mobilien des Zimmermann, sondern auch das Vieh pfänden und nach Templin transportieren lassen, um es dort an den Meistbietenden zu versteigern. Zwei Geschwister des J.S. Zimmermann, Frau Henrici geb. Zimmermann und George Zimmermann, Leutnant der Ziethen-Husaren, machen in einem an den König gerichteten Schreiben vom 1.1.1774 darauf aufmerksam und protestieren zugleich dagegen, daß sie für gewisse Verbindlichkeiten ihres Bruders, soweit diese aus dem Ansetzungsvertrage herrühren, mit haftbar gemacht werden sollen. Durch diesen Brief wird die Kriegs-und Domänenkammer aufmerksam, daß sie an dieses Etablissement auch noch Ansprüche habe. Es gab da eine Verfügung von 1766, wonach Zimmermann 5000 Taler Kaution stel­len sollte, bis er die vorgesehenen 8 Bauern und 5 Büdner angesiedelt hat. Die Ansiedlung war offenbar noch nicht erfolgt, die Kaution aber auch noch nicht gestellt. Die Kammer ersucht daraufhin das Prenzlauer Gericht, gefälligst zu verfügen, daß das aus den Effekten gelöste Geld zunächst sichergestellt, das Vieh aber nach Annen-

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walde zurückgeschickt werde, da ohne dieses das Etablissement nicht lebensfähig sei.

Aus der Konkursmasse kauft der Pächter Brockes den gesamten Besitz im Jahre 1776 für ganze 2000 Taler. Allerdings ist nicht bekannt, welche Verbindlichkeiten er noch übernehmen mußte. Aber auch das geringe Kaufgeld muß herhalten, um die Gläubiger we­nigstens teilweise zu befriedigen. Herr J.S. Zimmermann geht arm und mittellos nach Densow, "wo er sich zuletzt in großer Dürftigkeit aufgehalten." (Densower Kirchenbuch). Dort starb er am 29.Juni 1777 im Alter von nur 38 Jahren. Er wurde in dem Erbbegräbnis der Zimmermanns in Annenwalde beigesetzt. Dieses Erbbegräbnis befand sich auf dem alten Friedhof am äußersten Ende des Teiles der Dorfstraße, den man den Winkel nennt, zwischen zwei Linden, die noch heute dort stehen. Auf dem Plan des Dorfes von 1795 wird es als Begräbnis-Gewölbe bezeichnet. Im Kirchenbuch von Annenwalde ist eingetragen: "1777 Herr Johann Samuel Zimmermann, ehemaliger Gutsherr von Annenwalde, der sich nachher zu Denso aufgehalten, ward, nachdem er den 29.Juni abends um 7 Uhr daselbst gestorben, in das Erbbegräbnis zu Annenwalde nach vorhergegangener Standrede beigesetzt alt 38 Jahr (Schlagfluß)."

Damit schließt das erste Kapitel der Geschichte von Annenwalde.

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4.3 Von der Blütezeit der Glashütte


 

Bevor ich von dem weiteren Fortgang berichte, will ich auf einen Plan des neuen Dorfes eingehen, der im ‚Jahre 1795 angefertigt wurde. Der Aktenband, in dem sich dieser Plan findet, enthält in 74 Blättern eine umständliche Untersuchung, für welche Gebäude Reparaturholz verbilligt zu liefern ist und trägt die Auf-schrift: "Vom Holtze zur Reparatur der Gebäude des Glaß Fabricanten Brockes zu Annenwalde Amt Zehdenick". Die Karte, von der sich eine Fotokopie im Anhang dieser Chronik befindet, trägt die Bezeichnung "Plan von der Lage der Gebäuden in den Etablißements Dorff Annenwalde". Wir finden auf dieser Karte das Gutshaus (hier nur als Wohnhaus bezeichnet) mit verschiedenen Stallgebäuden (Ochsenstall, Schafstall, Schweinestall, Federviehstall, Pferdestall und Kuhstall). Der eigentliche Gutsbetrieb muß also um diese Zeit auch schon recht ausgedehnt gewesen sein. Wir erkennen ferner die Schmiede des Friedrich Moldenhauer und den Krug Andreas Trummer, beide da, wo auch heute noch oder wieder Schmiede und Gasthaus stehen. Es sind weiter verzeichnet das Müllerhaus, das Küsterhaus (letzteres da, wo auch heute die Schule ist), das Hirtenhaus und das Seidenbauhaus, die Windmühle und zwei Familienhäuser mit je vier Wohnungen. Von den beiden Häusern steht nur noch das eine, das wegen des Strohdaches (eigentlich Rohrdach) als Strohreihe bezeichnet wird. Das andere wurde wegen Baufälligkeit 1926 abgerissen. Über die vier verzeichneten Backhäuser berichte ich unter 5.4. Alle die genannten Gebäude gehörten zum Gut. Außerdem werden noch 21 Büdnerhäuser verzeichnet. Es war also schon ein recht ansehnliches Dorf entstanden.

Auffällig ist das Vorhandensein eines Seidenbauhauses, in dem, so müßte man annehmen, also Seidenraupen gezüchtet wurden. Zur Zucht dieser Seidenraupen sind aber Maulbeerblätter nötig. Wo die Maulbeerbäume gestanden haben, ist nicht ersichtlich. Später sind sie offenbar am Wege nach Densow gepflanzt worden, denn die Anhöhe in der Mitte dieses Weges heißt noch heute der

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Maulbeerberg. Als die Karte gezeichnet wurde, schien der Weg aber noch nicht bestanden zu haben, jedenfalls ist er nicht aufgezeichnet.

Auf dieser Karte finden wir auch "das Henricische Erbenhaus". Frau Henrici war eine Tochter des Dorfgründers.(s. S. 32) Es bleibt die Frage, ob ihr aus der Konkursmasse des Bruders wenigstens dieses Haus verblieben war. Später gehörte es jeden-falls in den Gesamtbesitz des Gutes.

Der neue Besitzer Johann Christoph Brockes führte die Glashütte zu einer Blüte, wie sie andere Hütten der Umgegend nicht erreicht haben. Betrug die Produktion anfangs 4000 bis 5000 Taler, so wurden um 1800 jährlich für 13 350 Taler grüne Glas-waren hergestellt. Die ersten Glashütten standen mitten im Dorf, etwa da, wo sich heute die Auffahrt zum ehemaligen Gutshause befindet, 50 Meter östlich der Kirche. Wahrscheinlich mit Rück­sicht auf die Brandgefahr ließ Brockes sie später dahin bauen, wo sich die von Densow Und Bredereiche kommenden Wege treffen. Dort standen auch der Salzschuppen, der Schuppen für die fertigen Glaswaren, das Haus für den Vicemeister und vier Arbeiterhäuser. Die Straße wird manchmal noch als Hüttenreihe bezeichnet.

In der Glashütte befand sich der Glasofen, der aus Ziegelsteinen und Lehm gebaut war. Seine Lebensdauer betrug nur etwa 6 Monate. Der Ofen hatte mehrere Öffnungen, sodaß jeder Glasbläser aus der für ihn bestimmten Öffnung die flüssige Glasmasse entnehmen konnte. Gefeuert wurde mit Holz, das vollkommen trocken sein mußte. Die trockenen Scheite lagen in einem Schuppen, den die Glasmacher die Arche nannten. Die Flammen umspülten zunächst die Häfen mit der Glasmasse und wurden dann zum Kühlofen geleitet, in dem die fertigen Gläser langsam abkühlen mußten. Die Mergelerde, die zur Glasbereitung nötig war, wurde aus den Buchen und aus dem Absatz geholt. Die notwendige Holzasche wurde teils selbst hergestellt, teils bei den Seifensiedern und den Hausfrauen in den Kreisen Templin und Prenzlau aufgekauft. Das für die Glasmasse unentbehrliche Salz wurde auf Kähnen die Havel heraufgebracht bis zur "Annenwalder

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Glasablage" bei Langenwall. Ein Zollbeamter nahm die im Salzschuppen untergebrachten Vorräte auf, denn damals bestand ein strenges staatliches Salzmonopol. Auch die für die Formen nötige feuerfeste Erde wurde wie das Salz auf dem Wasserwege von Braunschweig und Magdeburg hergebracht.

Hergestellt wurde nur grünes Flaschenglas von kleinen Flaschen bis zu den größten. Die fertigen Waren trugen ein eingepreßtes Siegel mit dem Adler, der Umschrift Annenwalde, der Jahreszahl, manchmal auch mit Firmenbezeichnung Brockes. Das Siegel befand sich da, wo die Flasche in der Abschrägung zum Hals übergeht. Solche Flaschensiegel sind von den Schulkindern in großer Zahl gesammelt worden. Man fand sie besonders beim Graben in den Gärten, vorwiegend in der Nähe des Standortes der ehemaligen Glashütte. Eine von mir angelegte Sammlung dürfte ziemlich lückenlos sein. Eigenartig ist, daß auf den noch vorhandenen Flaschen und Gläsern kein Stempel zu finden ist. Auffallend ist auch die große Zahl von solchen Siegeln oder Stempeln aus fremden Hütten.

Die fertigen Glaswaren wurden größtenteils an der Ablage bei Langenwall auf Kähne verladen. Zum Transport der Gläser bis dorthin benutzte man besonders gebaute Wagen, die auffallend hohe und breite Räder hatten. Der Weg bis zum Wald in Richtung Havel heißt noch heute der "Glasweg".

Die technische Leitung der Hütte hatte nicht der Besitzer, der Glasherr, sondern der Vicemeister. Ihm unterstanden die Glasmacher (Glasbläser), die Glaspfleger (die das fertige Glas in die Kühlöfen brachten), die Schürer(Heizer), die Schürholzhauer und die Aschenfahrer. Unter den ersten Glasleuten waren der Vicemeister Johann Daniel Bölkow, der Aschenfahrer Hans Joachim Rennpagel und der Glasmacher Leopold Stutz, deren Nachfahren noch heute in Annenwalde wohnen. Berühmte und im vielen Hütten bekannte Glasmacherfamilien waren die Gundlachs und die Greinerts, wie auch die Namen Zimmermann und Brockes (Brocksch) in der Geschichte der Glashütten immer wieder auftauchen.

Große Pläne hatte Herr Brockes 1788, als in Preußen

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die Glashütten endlich und ohne Ausnahme auf Steinkohlenfeuerung umgestellt werden sollten. Der siebenjährige Krieg (1756-1763) hatte eine erhebliche Abnahme des Waldbestandes und ein Steigen der Holzpreise zur Folge gehabt. Für die in dem eroberten Schlesien geförderte Steinkohle mußte Absatz gefunden werden. Deshalb sollte der Verbrauch von Steinkohle vermehrt, der Ver­brauch von Holz eingeschränkt werden. Für den Umbau der Glashütten auf Steinkohlenfeuerung wurden sogar staatliche Zuschüsse gezahlt. Diese Gelegenheit wollte auch Brockes benutzen, seine Hütte zu modernisieren; außerdem wollte er sie dabei an die Havel nach Langenwall verlegen. Mit Rathmann, dem Besitzer der Basdorfschen Hütte (s.S.23 u. Nachtrag), hatte er sich verbunden zum gemeinsamen Betrieb dieser neu zu errichtenden Glashütte. Mit weitgreifenden Plänen kamen sie in einem langen Gesuch vom 8.2.1788 vor den König. Material zum Bau eines neuen Ofens wäre schon angefahren. Aus der Grafschaft Mark (Ruhrgebiet) würde ein Fachmann erwartet, mit dem zusammen die Eignung der schlesischen Kohle für die Glasfabrikation erprobt werden sollte. Bewähre sie sich, so müßte schon deshalb die Glashütte an die Havel verlegt werden, denn die Anfuhr der Steinkohle auf dem Landwege böte doch zuviel Schwierigkeiten. Und "zum Besten des Publico" sei notwendig, die Gestehungskosten recht niedrig zu halten. Die beiden Besitzer erklärten sich bereit, auf die freie Holzlieferung zu verzichten, stellten aber zwei Bedingungen:

1. Überlassung eines Fabrikgeländes von 10-12 Morgen am Langenwall,

2. Glasmonopol im Amt Zehdenick, d.h. es dürfe im ganzen Amt weiter keine Glashütte eingerichtet werden. Um ganz sicher zu gehen, bemerkt Brockes noch, daß er "per indirektum dahin gebracht werden würde, daß ich meine Glashütte ganz eingehen lassen müßte, und mir nach Recht und Billigkeit in solchem Falle nicht zugemutet werden könnte, den besonderen Canon zu zahlen." Außerdem würde er auch nur so "denen in Annenwalde angesetzten Familien Verdienst geben und solche erhalten können, welche sonst schlechterdings, wegen Mangel an hinlänglicher Nahrung, wieder zum Lande hinausgehen müßten." Der

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Forstmeister Brauns zu Annenwalde berichtet am 9.3.1788 dem Domänenamt, daß der Antrag bewilligt werden könne, daß aber vielleicht die Gemeinde Röddelin protestieren werde, da ihr dort die Hütungs-gerechtigkeit zusteht. Daraufhin wird am 17.3.1788 das Amt Badingen aufgefordert, "die Hütungs Interessenten hierüber zu vermahnen, ihnen dabei zu erkennen zu geben, daß die Absicht Unserer Allerhöchsten Persohn ist, zur Ersparung des Holzes, alle Glashütten der Churmark auf Steinkohlen einrichten zu lassen, daß dies dem ganzen zum offenbaren Vortheil gereiche und daher erwartet werde, daß sie sich einer so kleinen Aufopferung nicht entziehen werden." Der Oberamtmann soll widrigenfalls ein Gutachten abgeben, ob die Röddeliner durch die Abgabe der 10 Morgen wirklich beeinträchtigt würden.

Es ist nicht bekannt, aus welchem Grunde die Hütte dennoch nicht an die Havel verlegt wurde. Sie hat auch mit Holzfeuerung weiterbestanden und bedeutende Mengen produziert.

Der so unternehmende Johann Christoph Brockes starb 1804. Sein Sohn Johann Karl Christoph Brockes konnte endlich die Kirche bauen, für die schon dem Vater eine Haus- und Kirchenkollekte bewilligt worden war. Die Frau dieses letztgenannten Brockes ließ 1860 auf dem neuen Friedhof ein Erbbegräbnis bauen, das heute der Gemeinde als Leichenhalle dient. Als diese Frau Brockes 1865 starb, kündigte der Sohn Theodor Albert Adolph Wilhelm Brockes allen Glasmachern. Damit hatte nach etwas mehr als 100 Jahren die Annenwalder Glashütte aufgehört zu bestehen.

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4.4 Gut und Gemeinde nach Stilllegung der Hütte


 

Wilhelm Brockes gab nur ein mit erheblichem Risiko verbundenes Unternehmen auf, als er 1865 die Glashütte eingehen ließ. Im Zuge der Separation nach der sogenannten Bauernbefreiung von 1810 war auch der Landbesitz der Brockes angewachsen. Die Einkünfte aus diesem vergrößerten Grundbesitz reichten aus, sodaß auf die immer geringer werdenden Erträge der Hütte verzichtet werden konnte.

Als der Wilhelm Brockes 1872 kinderlos starb, erbte seine Schwester Auguste Reiche geb. Brockes, Frau eines Stettiner Stadtrates, den gesamten Besitz. Sie übergab ihn noch im gleichen Jahr ihrem Sohn Ernst Reiche, der als „Papa Reiche“, auch „der olle Reiche“ genannt, im Dorfe großes Ansehen genoß. Als Kreisdeputierter hatte er auch nicht unbedeutenden Einfluß auf die im Kreis zu treffenden Maßnahmen. Auf seinen Einfluß soll es nach Angaben alter Dorfbewohner zurückzuführen sein, daß die Eisenbahn Templin-Fürstenberg (eröffnet 1899) nicht über Röddelin und Annenwalde, sondern bei Neuplacht durch den Wald gelegt wurde. Ernst Reiche hatte mehrere Kinder. Eine Tochter war mit einem Herrn Jäger verheiratet, der Besitzer des Gutes Neuplacht war. Nach dem Tode des alten Reiche können sich die Erben nicht einigen. Aus diesem Grunde wurde das Gut Annenwalde im Jahre 1911, nachdem es 135 Jahre im Besitz der Familie Brockes-Reiche gewesen war, verkauft. Es wurde erworben von einem Hauptmann a.D. Wolfgang Heinrich für 500 000 Mark. Der neue Besitzer ließ sich von seinen Arbeitern und auch von den Dorfbewohnern nur mit "Herr Hauptmann" anreden. Er war ein sehr streitsüchtiger Herr, dem es trotz der Größe seines Besitzes auf jeden Quadratmeter Boden ankam. Aus diesem Grunde ließ er alle seine Ländereien und die Wiesen am Krams-See vermessen. Dabei stellte sich u.a. heraus, daß ihm auch das Stückchen Land südlich der Kirche gehörte, auf dem seit 1835 der Glockenstuhl stand. Der Glockenstuhl mußte umgesetzt werden auf einen Platz vor dem Eingang der Kirche. Ähnliche Streitigkeiten, großzügige Umbauten, eine kost-

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Am 11.November 1835 wird das der Witwe Amalie Friederike Brockes geb. Uhle zustehende Erbzinsrecht an dem Gute Annenwalde in volles Eigentum umgewandelt.

(Grundbuchakten des Gutes Annenwalde, Seite 55.

Auf den Seiten 62-68 findet sich der Rezeß hierüber)

Die Amalie Friederike Brockes war seit 1805 mit dem Johann Carl Christoph Brockes verheiratet gewesen. Der "Mann starb 1813. Sie heiratete dessen Bruder August Rudolph Brockes, der am 11.7. 1835 starb. Die Witwe verkauft dann das Gut 1839 an einen Sohn aus erster Ehe, den Theodor Albert Adolph Wilhelm Brockes. Grundbuchakten S.80-83

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spielige Dränage der Wiesen und die Hinneigung zu einem guten Tropfen brachten so große Ausgaben, daß auch der Verkauf des 618 Morgen großen Waldstückes "der Brand" an den Forstfiskus (Oberförsterei Altplacht), der 300 000 Mark erbracht haben soll, zur Rettung des Besitzes nicht mehr ausreichte.

Im Jahre 1916 wurde dann das Gut an die damals sehr bekannte Papierfirma Max Krause in Berlin verkauft. Keine Litfaßsäule, kein Papierladen, keine Bahnhofsreklame, wo man nicht das gelbe Plakat sah mit den einprägsamen Zeilen: "Schreibste mir, schreibste ihr, schreibste auf MK-Papier!" Es schien, als ob Annenwalde noch einmal zu einer neuen Blüte kommen sollte. Zunächst wurde im sogenannten Henricischen Erbenhaus, das zuletzt viele Jahre als Schulgebäude gedient hatte, ein Kinderheim eingerichtet. In diesem Hause waren aber, seitdem 1915 die Schule ihr neues Gebäude bezogen hatte, kriegsgefangene Russen untergebracht. Es ist ja die Zeit des ersten Weltkrieges. Die Kriegsgefangenen wurden umquartiert in die Schnitterkaserne. Das ist das schon erwähnte Glashüttengebäude an der Wegegabelung, wo die Wege nach Bredereiche und Densow abgehen. Zwischendurch war dieses Gebäude auch Scheune gewesen und dann zur Unterbringung der während der Saison auf dem Gute beschäftigten polnischen Schnitter benutzt worden. Das erwähnte Erbenhaus aber wurde eilig instandgesetzt, sodaß nun hier Kinder der Arbeiter und Angestellten der Firma Krause aus Berlin untergebracht werden konnten, um sich hier zu erholen. Der Park wurde gepflegt, seltene Bäume und Blütensträucher angepflanzt, die Terrassen zum See hin wurden durch Feldstein-mauern abgestützt und mit Blumen bepflanzt. Ein wunderbarer Tisch, aus einem mächtigen Granitfindling gehauen und geschliffen, wurde leider 1946 zerschlagen. Das Herrenhaus wurde völlig umgebaut. An der Straßenecke gegenüber der Schule wurde ein Wohnhaus errichtet, das für den Förster und für den Gärtner bestimmt war. Als wichtigstes aber wurde die Pflasterung der Dorfstraße in Angriff genommen. Der Weg von Densow bis zum Dorfeingang Annenwalde war schon unter Herrn Heinrich 1913 gepflastert worden. Nun sollten auch die Dorf-

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straße, der Weg von der Schmiede bis zum Vorwerk und von dort bis zum Tanger und auch der Glasweg vom Dorf bis zum Waldrand mit Steinpflaster versehen werden. Die Fortsetzung des Glasweges innerhalb des Waldes war schon in den neunziger Jahren bis Kannenburg gepflastert worden. Im November 1918 wird von Herrn Krause eine Eingabe an den Kreisausschuß des Kreises Templin gerichtet, in der um einen Zuschuß zu den Kosten der geplanten Pflasterung ersucht wird. Der Antrag wird zunächst abgelehnt mit dem Bemerken, die für 1919 zu dem gedachten Zweck vorgesehenen Summen seien bereits vergeben. Herr Krause aber ist Geschäftsmann, der sich so schnell nicht abweisen läßt. Er schickt im Januar 1919 die fertige Zeichnung und einen Kostenanschlag mit einem neuen Antrag an den Landrat in Templin. Im Juni wird ihm dann mitgeteilt, daß die Provinz 1/6 der nachzuweisenden Kosten und der Kreis 2 292,50 Mark tragen werden. Den Auftrag erhielt der Steinsetzmeister August Pfahl in Zehdenick. Mitte Dezember ist man aber erst so weit, daß in Hohenfelde bei Röddelin Steine geschlagen und gesprengt werden sollen. Außerdem sind bei der Firma Baumann in Alt-Hüttendorf 200 cbm Pflaster­steine bestellt worden. Die Forstverwaltung in Altplacht hat die unentgeltliche Benutzung einer ihr gehörenden Feldbahn zugesagt. Sie war besonders nötig, um den Sand von einer Sandgrube am Densower Damm bis ins Dorf zu bringen. Hier wurde die Straße an einigen Stellen erheblich höher gelegt. Der große Mangel an Eisenbahnwagen, bedingt durch die Ablieferung auf Grund des Waffenstillstandsvertrages von 1918, verhindert die sofortige Lieferung der bestellten Steine. Im Februar rollen die ersten Waggons an. Bis April werden insgesamt 25 Waggons in Neuplacht entladen. Inzwischen hatte sich auch eine Gemeindeversammlung mit der Angelegenheit befaßt. Man wünschte die Anlegung eines festen Rinnsteines und die Abtragung einer Anhöhe vor dem Gasthof und der Schmiede, damit das Wasser nach dieser Richtung hin Abfluß habe. 8 Besitzer verpflichteten sich zur Leistung von 3 bis 5 Tagen Gespanndiensten, 15 Eigentümer wollten je 3 bis 5 Tage Handdienste leisten. Die Bewohner von Annenwalde

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kamen also recht billig zu einer guten Straße. Denn was man bis dahin als solche bezeichnet hatte, das war nur der tief zerfahrene Zwischenraum zwischen den beiden Baumreihen, der sich bei Regen-wetter in einen unergründlichen Morast verwandelte.

Inzwischen war aber auch die Inflation fortgeschritten. Im September 1919 werden 10 t runde Pflastersteine mit 200 Mark angeboten. Mitte Januar 1920 kosten sie schon 300 Mark. Am 1. April ist der Preis auf 375 Mark gestiegen und drei Wochen später auf 500 Mark. Im Juli 1920 ist die Dorfstraße fertig gepflastert. Aber der Weg bis zum Vorwerk wird nicht mehr fertig, man kommt nur noch bis etwa 75 Meter hinter die Schmiede.

Eine Abrechnung über die Kosten insgesamt findet sich in den Akten nicht. Die Rechnung des Steinsetzers für die Pflasterung der Dorfstraße lautet über 15 000 Mark, für das kurze Stück hinter der Schmiede auf 9 200 Mark. Die Steine aus Alt-Hüttendorf dürften ungefähr 13 000 Mark gekostet haben. 4 000 Mark etwa kosteten Zementrohre und Gullis. Man kommt auf eine Summe von annähernd 50 000 Mark. Allerdings ist hierbei die schon fortgeschrittene Geldentwertung des Jahres 1920 zu beachten.

Der Initiative des Herrn Krause ist es wohl auch zu verdanken daß Annenwalde an die Hochspannungsleitung der "Überlandzentrale des Märkischen Elektrizitätswerkes" angeschlossen wurde und daß zu Weihnachten 1919 in allen Häusern in Annenwalde elektrisches Licht brannte. Er gab ferner 400 Mark, damit auch im Schulgebäude die notwendigen Installationen ausgeführt werden konnten. Die Lichtanlage in der Kirche wurde ganz auf seine Kosten hergestellt.

Abgesehen von der erwähnten Unterbringung gefangener Russen ist aus, den berichteten Ereignissen kaum ersichtlich, daß ein mörderischer Krieg, der 1.Weltkrieg 1914-1918, die Welt erschüttert hatte. Wenn auch im Dorfe selbst vom Krieg nichts zu sehen war, so brachte er doch in fast jedes Haus größte Sorge dadurch, daß alle wehrfähigen Männer zum Kriegsdienst eingezogen

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worden waren. Er brachte großes Leid dadurch, daß viele der Eingezogenen nicht wieder nach Hause kamen. Wie eine 1926 in der Kirche aufgehängte Tafel besagt, sind 16 Annenwalder auf den verschiedensten Schlachtfeldern gefallen. Ihre Namen seien hier vermerkt:

 

Unteroffizier August Jungblut

gef. 17.9.1914

Reservist Max Berg

gef. 20.9.1914

Reservist Karl Horn

gef. 20.10.1914

Musketier August Entrich

gef. 30.10.1914

Reservist Oskar Lemke

gef. 8.11.1914

Landsturmmann Emil Horn

gef. 8.12.1914

Musketier Friedrich Haberland

gef. 21.12.1914

Pionier Wilhelm Schön

gef. 5.7.1916

Unteroffizier Hermann Bielke

gef. 20.7.1916

Musketier Franz Collin

gef. 1.10.1916

Musketier Paul Sdun

gef. 20.11.1917

Leutnant Karl Schmidt

gef. 1.5.1918

Gefreiter Albert Szemeitat

gef. 20.6.1918

Pionier Gerhard Tietz

gef. 6.8.1318

Sergeant Otto Bielke

gef. 2.9.1918

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Eine Revolution war gewesen, das Kaiserreich war nicht mehr, die Republik war gegründet worden. Aber an dem sozialen Gefüge hatte sich kaum etwas geändert. Eine Bodenbesitzreform wäre in einem Lande, in dem sich der größte Teil des Bodens in den Händen von Großgrundbesitzern befand, eine unumgängliche Notwendigkeit ge­wesen. Aber was wurde daraus? Am 11.8.1919 hatte die Nationalversammlung in Weimar das Reichssiedlungsgesetz beschlossen. Danach sollten zur Hebung bestehender Kleinbetriebe auf die Größe einer selbständigen

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Ackernahrung in den Gebieten, in denen mehr als 10 v.H. der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Besitze großer Güter (über 100 Hektar) ist, Landlieferungsverbände aus diesen Gütern gebildet werden. Die Landlieferungsverbände müßten auf Verlangen geeignetes Land aus dem Bestande der Güter zu einem angemessenen Preis beschaffen. In der Annahme, man bekäme das Land umsonst oder doch zumindest zum Vorkriegspreise, meldeten sich allein in Annenwalde 16 Bewerber, die 350 bis 400 Morgen beanspruchten. Dazu kamen 9 Bewerber aus Beutel, die 300 Morgen haben wollten. Auf eine diesbezügliche Mitteilung des Preußischen Kulturamtes in Prenzlau, das für diese Maßnahmen verantwortlich wareantwortete Paul Krause, der Besitzer des Annenwalder Gutes, in einem ausführlichen Schreiben vom 16.9.1920. Wir erhalten durch dieses Schreiben einen guten Einblick in die damaligen Verhältnisse des Gutes. Es umfaßte insgesamt 465,1867 ha. Davon waren 265 ha Acker, 79 ha Wiesen und Weiden, 42 ha Wasser, 3 ha Hofraum, 1 ha Wege, 47 ha Wald, 19 ha Oedland und 9 ha Garten. Der Wert der Gebäude beträgt nach Schätzung der Feuerversicherungsgesellschaft 1 934 000 Mark. Die geernteten Kartoffeln wurden direkt an die Arbeiter der Firma nach Berlin verkauft. Roggen wurden 285 Zentner mehr abgeliefert als das Soll betrug; während die Gemeinde 165 Zentner abliefern sollte, aber nur 15 Zentner gebracht hat.

Am 8.10.1920 kam der Leiter des Kulturamtes, Regierungsrat Glasow, zur Verhandlung nach Annenwalde. Es wurde u.a. festgestellt, daß die meisten Antragsteller weder Gebäude noch Vieh besaßen, um das von ihnen beantragte Land bewirtschaften zu können. Die Antragsteller waren: Fritz Schaal, Johann Sdun, Karl Müller, Frau Haberland, Ernst Kolloff, Frau Marie Priegnitz, Gastwirt Wilhelm Schmidt, Friedrich Ewald, Hermann Bohm sen., Hermann Bohm jun. und Schmiedemeister Otto Rönnpagel. Bald war nur noch ein Bedarf von 294 Morgen, der sich bis Ende des Jahres noch auf 209 Morgen ermäßigte. Als Preis pro Morgen werden genannt für den Acker 1000 und für die Wiesen 800 Mark. Dabei ist aber wieder zu beachten, daß die Inflation schon weit fortgeschritten war.

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Da die Verhandlungen mit dem Kulturamt zu keinem Ende kamen, schaltete sich im März 1921 der Landlieferungsverband ein. Der Leiter, Regierungsrat Billing, kam im Juli 1921 nach Annenwalde. Er vertrat offensichtlich die Interessen des Gutsbesitzers. Berg und Schmidt z.B. wurden ausgeschieden, weil sie als Bäcker bzw. als Gastwirt so schon einen auskömmlichen Erwerb hätten. Zum Schluß blieben von den Forderungen ganze 5,8 ha übrig, die verkauft und 2,9 ha, die auf 12 Jahre verpachtet werden sollten. Aber auch diese rund 35 Morgen von annähernd 1900 Morgen wurden nun noch nicht verkauft oder verpachtet. Erst im Oktober 1922 wurde die Angelegenheit dadurch erledigt, daß Herr Krause 9 Antragstellern etwa 30 Morgen Land auf 12 Jahre verpachtete. Sie bezahlten obendrein noch die Gebühren für das Landlierfungsbegehren [?] und erklärten, daß ihre Ansprüche befriedigt seien. Nur Berg hielt seinen Anspruch noch aufrecht. Der wurde dann vom Ständigen Ausschuß für die Provinzen Brandenburg und Grenzmark im Februar 1924 mit ausführlicher Begründung endgültig abgelehnt. Damit war eine Angelegenheit zum Abschluß gebracht, die große Hoffnungen erregt, viele Leute in Bewegung gesetzt, erheblichen Ärger geschaffen und manches Paket Akten gekostet hatte, ohne daß von dem Erstrebten auch nur der kleinste Teil in Erfüllung gegangen wäre.

Um jeden Hektar hatten die Gebrüder Krause gekämpft, obwohl sie nicht einen Quadratmeter umsonst abgeben sollten. Daher war es umso verwunderlicher, als sie im Dezember 1925 plötzlich das Gut Annenwalde verkauften. Als Kaufpreis werden 450 000 Mark genannt. Es dürfte hier allerdings nicht mehr Mark heißen, denn die Inflation war seit 1923 abgestoppt und wir hatten die Rentenmark (RM). Käuferin des Gutes war ein Fräulein Jäger aus Holland, die Braut des bisherigen In­spektors Theodor Kriewitz, dem sie das Gut als Morgengabe zur Hochzeit bringt. Im Februar 1926 fand in Berlin die Hochzeit statt. Am Tage darauf sollte das junge Paar in Annenwalde eintreffen. Als das ganze Dorf gespannt die Ankunft erwartete, kam plötzlich die

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Nachricht, daß die jungen Leute mit ihrem eigenen Auto in der Nähe von Bernau verunglückt seien. Frau Kriewitz erlitt einen Schädelbruch und starb 14 Tage später im Krankenhaus in Bernau. Die Leiche der jungen Gutsherrin, die auf so tragische Weise aus der Freude der Hochzeitsfeier in den jähen Tod gefahren war, wurde nach Annenwalde überführt, in der Kirche aufgebahrt und unter großer Beteiligung und herzlicher Anteilnahme im Park in einem besonderen Gewölbe beigesetzt.

Noch immer konnte man am Ortsschild lesen: Gut und Gemeinde Annenwalde. Das Gut führte ein Eigendasein neben der Gemeinde. Zur Aufbringung der Schullasten z.B. bildeten beide einen Gesamtschulverband. Erst 1930 wurde das Gut in die Gemeinde eingegliedert, und es gab fortan nur noch die Gemeinde Annenwalde.

Die Wirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre, deren Gründe in einer Gemeindechronik nicht dargelegt zu werden brauchen, brachte auch der Landwirtschaft schwierige Jahre. Um diese Zeit überstehen zu können, mußte ein Bauer schon ein tüchtiger uns sparsamer Mann sein. Beides war Herr Kriewitz nicht. So wurden die Schulden immer drückender. Es half auch nicht, daß die Reste des alten Vorwerkes Crams an die staatliche Forstverwaltung verkauft wurden und daß von dem auf dem Tegefeld vorhandenen Wald alles schlagbare Holz zu Geld gemacht wurde. Größter Gläubiger war die Central-Bodenkredit-Bank in Berlin. Ostern 1931 wurde von ihr das Gut in Zwangsverwaltung übernommen. Bei der Zwangsversteigerung im Herbst desselben Jahres erwarb sie dann den gesamten Besitz für 185 000 Mark. Wieviel Schulden diesem Kaufpreis noch hinzugerechnet werden müssen, ist mir nicht bekannt geworden. Da sich unter den damaligen überaus unsicheren wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen kein Käufer für das Gut fand, wurde es aufgeteilt. Das Vorwerk auf der Röddeliner Feldmark mit rund 150 Hektar wurde eine selbständige Wirtschaft. Im Dorfe wurden zwei Bauernhöfe mit 10 bzw.13 Hektar neu geschaffen. Der eine Hof

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entstand aus dem ehemaligen Kinderheim (Henricisches Erbenhaus), der andere aus dem früheren Hirtenhaus. Das letztere kaufte ein Herr Erich Stutz aus Gandenitz, ein Nachfahre der schon bei der Dorfgründung hier genahnten Glasmacherfamilie. Mit insgesamt [Platzhalter leer] Hektar vergrößerten die hiesigen Bauern und Büdner ihre Wirtschaften. Die acht gutseigenen Arbeiterhäuser im Dorf wurden gleichfalls verkauft. Meist wurden sie von den bisher darin wohnenden Arbeitern erworben. Die Preise waren als angemessen zu bezeichnen. So kostete z.B. eine Wohnung in der Strohreihe mit Hofraum, und ca.600 qm Garten 300 Mark. Die Wirtschaft Stutz wurde mit 8000 Mark bezahlt; allerdings gehörte kaum Stall dazu, und das Haus war recht baufällig. Der vom ehemaligen Gut noch verbleibende Rest von 220 ha wurde in zwei Wirtschaften aufgeteilt. Das kleinere der beiden Restguter mit nicht ganz 100 ha erhielt den ehemaligen Wirtschaftshof mit den Wirtschaftsgebäuden und der großen Scheune; es wurde als Wirtschaftsgut bezeichnet. Wenige Jahre besaß es ein Herr Paul Heese, dann kaufte es ein Herr Wilhelm Weitkamp, der aus Westfalen kam. Zum zweiten Restgut gehörte das Herrenhaus. Man hatte diese Wirtschaft so zurechtgeschnitten, daß sie eben noch die Eigenjagd hatte; man nannte sie daher das Jagdgut. Zwei Herren aus Coswig in Anhalt, ein Arzt und ein Chemiker, hatten dieses Gut gekauft, um es später als Ruhesitz zu haben. Sie setzten zunächst einen Verwalter ein, verpachteten aber später diesen Betrieb. Selbst waren sie nur selten hier anwesend.

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4.5 In der Zeit des Faschismus


 

Es ist schon etwas schwierig, zumindest erfordert es viel Zeit und Arbeit, wenn man die Geschichte einer vergangenen Zeit aufschreiben will. Aber mir scheint es noch schwieriger zu sein, das niederzuschreiben, was man selbst erlebt hat. Das gilt besonders dann, wenn es sich um eine so unvorstellbar barbarische Zeit handelt wie die des Faschismus oder umso turbulente Jahre wie die nach 1945. Auch wenn man sich 1933 bis 1945 noch so abseits gehalten hat, man war doch eben nicht nur Zuschauer, sondern zumindest Statist und hat als solcher manchmal mitspielen müssen. Das bedeutet ganz einfach, daß man nicht völlig objektiv berichten kann, sondern daß die Nach-richten subjektiv gefärbt sein müssen. Es kommt noch hinzu, daß ich mich für diese Zeit kaum auf schriftliche Berichte stützen kann, ausgenommen wenige eigene Aufzeichnungen in der Schulchronik, und folglich fast alles aus dem Gedächtnis niederschreiben muß.

Die furchtbare Arbeitslosigkeit, die als Folge einer weltweiten Krise des Kapitalismus ganz Deutschland ergriffen hatte, war auch an Annenwalde nicht spurlos vorübergegangen. Viele Männer aus dem Dorf waren im Winter in der Forst, im Sommer aber als Maurer oder Bauhilfsarbeiter auswärts beschäftigt gewesen. Wegen mangelnder Nachfrage nach Holz war der Einschlag ab 1930 immer mehr zurückgegangen, die Bautätigkeit war auf ein Minimum gesunken. So fuhren jede Woche zweimal eine erhebliche Anzahl Männer nach Templin zum Arbeitsamt, um sich dort ihre Karte stempeln zu lassen und eine geringe Arbeitslosenunterstützung in Empfang zu nehmen. Aber auch die gab es nur einige Monate, dann war man ausgesteuert und erhielt nur eine noch geringere Fürsorgeunterstützung. Als die Faschisten 1933 an die Macht gekommen waren, wurden auch bei uns alsbald sogenannte Notstandsarbeiten durchgeführt, bei denen dann die meisten der bisherigen Arbeitslosen wieder Beschäftigung fanden. Auf dem Wege von Annenwalde nach dem Vorwerk war etwa an der Stelle, wo der Weg

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nach Beutel abzweigt, ein recht steiler Berg zu überwin­den. Dieser "Templiner Berg" hatte den Fuhrleuten, die aus alter Gewohnheit nach Templin lieber diesen Landweg als über Densow die Chaussee benutzten, immer erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Im Frühjahr 1933 rollten Feldbahngleise und Loren an. Die am Wege stehenden großen Kastanien wurden gefällt und gerodet. Der Berg wurde abgetragen, so daß der Weg an der höchsten Stelle gut 2 Meter tiefer zu liegen kam. Mit der überschüssigen Erde wurde der Weg an der tiefsten Stelle, am Spring, aufgeschüttet. Das ist etwa dort, wo der aus den Densower Wiesen kommende Graben die Straße unterquert. Bald aber fuhren auch einige Arbeiter weiter nach Fürstensee bei Neustrelitz, um dort bei geheimen Bauten tätig zu sein. Es waren die ersten Bauten für die kommende Aufrüstung. Mitglieder der Hitlerpartei, der NSDAP, gab es hier zunächst wenig. Als dann etwa 1934 hier auch eine Einheit der SA gebildet wurde, ließen sich mehr dort ein-fangen, um dann fleißig zu marschieren, zu exerzieren und sich so für den Krieg vorzubereiten. Und der kam dann auch und war für niemanden eine Überraschung. Zunächst war er noch weit weg. Aber eines Tages hatte jemand im Wald ein Flugblatt gefunden, das nur von einem fremden Flugzeug abgeworfen sein konnte. Bald geschah so etwas öfter. Dann mußte ich mit den Schulkindern losziehen, um diese Flugblätter zu sammeln und abzuliefern. Schon im September 1940 griffen englische Flieger Berlin an. Am 11.September um Mitternacht kam ein Flugzeug besonders niedrig über das Dorf. Vier Bomben schlugen anscheinend ganz in der Nähe ein, so daß es bei den meisten Einwohnern doch ein großes Er­schrecken gab. Forstarbeiter fanden am nächsten Morgen im Brand in der Nähe des ehemaligen Forsthauses Crams die Bombentrichter. Den ersten unmittelbaren Eindruck vom Krieg aber erhielten wir nach dem Luftangriff auf Templin am 6.März 1944. Wie oft sind wir dann nachts noch aufgestanden, wenn der Erdboden zitterte und die Häuser zu schwanken schienen bei den Angriffen auf Berlin. Da war der Himmel im Süden blutrot gefärbt von den riesigen Bränden. Oder wenn im Nord-

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osten die „Weihnachtsbäume“ am Himmel standen und wir schaudernd einen Angriff auf Stettin fast miterleben mußten. Aber noch immer lagen wir abseits der gefährdeten Gebiete.

Inzwischen waren viele Familien aus Berlin evakuiert (ausgesiedelt) worden, entweder vorsichtshalber oder weil ihre Wohnungen schon zerstört waren. Auch in Annenwalde waren eine Anzahl solcher Evakuierter, fast ausschließlich Frauen und Kinder, untergebracht. Aber auch Betriebe und Behörden wurden in weniger gefährdete Orte verlegt. So wurde im Sommer 1942 ein Teil der Reichsstelle für Forst und Holz in Annenwalde unter-gebracht. Auf dem Gelände zwischen Glasweg und Park wurden vier große Baracken errichtet. Zwei der Baracken dienten als Wohnräume, eine enthielt Büros, in einer waren zwangsverschleppte Holländer untergebracht, die die verschiedensten Arbeiten verrichten mußten. Außerdem stand auf dem Gelände unmittelbar südlich der Kirche eine lange Baracke, in der sich die Küche und ein großer Essenraum befanden. Diese Baracke brannte im Sommer 1944 als Folge eines Kurzschlusses in der elektrischen Leitung ab.

Im Herbst 1944 kamen die ersten Flüchtlinge aus Ostpreußen und andern Ostgebieten. Sie fanden im Dorf Unterkunft, auch wenn es mit den Einwohnern zum Teil recht schwierige Auseinandersetzungen gab. Als aber im Februar 1945 die sowjetischen Truppen bis an die Oder vorgedrungen waren, kamen ganze Flüchtlingszüge durch das Dorf. Autos blieben liegen, weil ihnen das Benzin ausgegangen war. Pferdefuhrwerke, schwer beladen mit Lebensmitteln, Wäsche, Teppichen u. dergl. mehr, kamen nicht weiter, da die Pferde kein Futter hatten. Viele solcher Gefährte waren an der Straße von Annenwalde nach Bredereiche stehen geblieben. Die Waldwege wurden vielfach benutzt, weil die Hauptstraßen ver­stopft oder durch Angriffe von Tieffliegern zu unsicher geworden waren. Der größte Teil der Einwohner des Dorfes Hanseberg (nahe bei Königsberg i. d. Neumark, nur wenige Kilometer östlich von Schwedt auf der andern Seite der Oder) blieb in Annenwalde, einige in

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Beutel und Röddelin.

Inzwischen war auch dem letzten klar geworden, daß Krieg und Nazizeit sich schnell ihrem Ende näherten. Noch aber wollten die braunen Machthaber ihre Position und sich selbst nicht aufgeben. So wurden unter dem Namen "Volkssturm" alle die noch in den verlorenen Krieg geschickt, die, wie z.B. ich, selbst, nie eine Flinte in der Handgehabt hatten, oder die als Teil-nehmer des 1. Weltkrieges nun schon das 50.Lebensjahr weit überschritten hatten. Aber der Krieg zog sich desungeachtet immer näher nach Annenwalde heran. Abgekämpfte Truppenteile kamen ins Dorf und bezogen auch noch hier vorübergehend Quartier. Mit den zurückweichenden Soldaten setzten sich auch einige Frauen aus dem Dorfe westwärts ab. Sie fanden sich aber einige Wochen später alle wieder ein. Dann kam die SS ins Dorf. Das war jene Raubbrennerbande, die nun im Lande alle Brücken sprengten, friedliebende Menschen umbrachten und ungestraft grausam wüteten. Hier im Dorf konnten sie allerdings nichts weiter tun, als daß sie einige der großen Linden fällten, sodaß diese die Dorfstraße blockierten. Die sowjetischen Panzer, die man weder an der Weichsel noch an der Oder hatte aufhalten können, sollten nun hierdurch gebremst werden. Am 28.April wurde angeordnet, das Dorf sei zu räumen. Am Großen Krams-See war vom Ortsbauernführer Hermann Bohm und vom Bürgermeister Otto Rönnpagel ein Platz für diesen Fall festgelegt worden. Einige Männer hatten schon seit Tagen dort Bäume gefällt, Erdgruben ausgehoben und Bunker gebaut. Die Besitzer von Pferdefuhrwerken konnten vieles mitnehmen, die übrigen eben nur das Allernotwendigste. Auffallend war dabei, daß die Frau Berg, die Inhaberin des Kaufladens in Annenwalde war, bedeutende Mengen an Zucker, Teigwaren und anderen Lebensmitteln aufladen konnte. Dabei waren schon in den letzten Wochen auch die geringen Mengen an Lebensmitteln, die nach den Karten verteilt werden sollten, nicht ausgegeben worden, weil angeblich nichts mehr da war.

Am 29.April besetzten sowjetische Truppen Templin. Bei Densow wurde noch gekämpft. Hier brannten drei Häuser,

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darunter auch das Schulhaus, und mehrere Ställe ab. Der Kampflärm war bis zu dem Waldlager zu hören. Außerdem waren schon mehrfach Flugzeuge im Tiefflug über diese Stelle hinweggeflogen. Die Aufregung und Sorge bei den hier Hausenden war groß. Die jahrelang geschürte Hetze gegen die "Bolschewisten" wirkte sich aus. Der Forstarbeiter Heinrich Collin verlor die Nerven. Er erschoß seine Frau, seine Tochter, seine Schwiegertochter, ein Enkelkind und sich selbst. Im Dorf erhängte sich ein Ehepaar, das aus Zehdenick hierhergekommen war. Am 30.April erschienen im Lager sowjetische Soldaten zu Pferde und forderten die Leute auf, sogleich ins Dorf zurückzukehren. Wieder wurde alles aufgeladen. Die einen konnten alles mitnehmen, die andern mußten von ihrem wenigen noch wieder einen Teil im Walde lassen.

Über die nun folgenden Tage und Wochen möchte ich im Einzelnen nichts berichten, sie waren für die Einwohner hart und schwer. Aber der Krieg war zu Ende. Das Ende war ein zunächst furchtbares Chaos, Not, Leid und Tränen. Es gab keine frohe Wieder-kehr der Männer, die den Krieg lebend überstanden hatten. Nach Wochen, Monaten, sogar erst nach Jahren kamen sie einzeln aus der Gefangenschaft. Aber viele kamen nie wieder. Ihre Namen seien hier vermerkt:


 

Rudolf Fink geb. 24.3.1916 gef. Juli 1941 bei Kiew

Richard Collin geb. 18.8.1913 gef. August 1941 am Ilmensee

Walter Schütt geb. 30.9.1921 gef. März 1942 in Rußland

Walter Horn geb. 12.2.1921 gef. Juli 1942 am Don

Rudolf Krüger geb. 23.8.1923 gest. August 1942 im Lazarett

Bernd Poley geb. 26.11.1922 gef. Juni 1943 in Rußland

Martin Bohm geb. 17.10.1918 gef. 1943 in Stalingrad(?)

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Helmut Lindemann geb. 9.9.1920 gef. Januar 1944 südlich Rom

Ernst Horn geb. 28.11.1922 gef. Mai 1944 am Dnjestr

Siegfried Berg geb.18.7.1925 gef. 1944 in Nordfinnland

Bruno Stutz geb.2.5.1925 gef. März 1945 in den Ardennen

Wilhelm Wannmacher geb.5.11.1909 gef. 1945 im Osten

Herman Greinert geb.8.2.1904 gef. 1945 im Osten

Willi Collin geb.10.5.1917 gef. Dezember 1944 am Plattensee

Richard Berg geb.16.10.1903 verschollen 1945 Tschechosslowakei(?)

Erwin Kersten geb. verschollen 1945 im Osten

Otto Horn geb. verstorben 1945 im Lazarett

Emil Wannmacher geb. 7.4.1911 verstorben Nov.1947 in sowj.

Gefangenschaft


 

Zu den bedauernswerten Opfern des Krieges gehören auch Max Lindemann, dem in dem harten Winter 1942/43 an der Ostfront beide Beine erfroren, sodaß sie ihm amputiert werden mußten. Arthur Bohm, geb.27.2.1922, wurde im Juli 1943 in Rußland so schwer verwundet, daß er beide Beine und die rechte Hand verlor.

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4.6 Nachkriegszeit


 

War auch der Krieg zu Ende, Friede, nein Friede war noch nicht, weder praktisch noch rechtlich. Es ist mir aber schlechterdings unmöglich, hier nun ausführlich zu berichten, was sich in den nächsten Wochen und Monaten nach dem 1. Mai 1945 im Dorf abspielte. Jedenfalls war es für die Einwohner eine überaus schwierige Zeit. Die beiden Teile des ehemaligen, Gutes wurden von der Roten Armee bewirtschaftet. Das Dorf war mit Flüchtlin­gen übervölkert. In den damals noch vorhandenen beiden Läden (Bäckerei und Gasthaus) gab es nichts zu kaufen. Bei dem von den Besatzungstruppen eingesetzten Bürgermeister wurde ab und an etwas Mehl verteilt, noch seltener ganz geringe Mengen Butter. Brot mußten die Frauen notgedrungen selber backen. Im Dorf war nur wenig Großvieh (Kühe und Pferde) zurückgeblieben. Eine ganze Herde Milchkühe wurde fortgetrieben. Dabei mußten einige Männer aus dem Dorf, darunter auch unser eben 14 Jahre alte Junge, als Treiber bis in die Nähe von Schwerin mitgehen. Die Mitarbeiter der in den Baracken untergebrachten Reichsstelle waren größtenteils schon seit Mitte April verschwunden. So konnten sich die im Dorf untergebrachten Flüchtlinge wenigstens einige der Möbelstücke holen, die der Reichsstelle gehört hatten. Zurückgelassene Formulare, die nur einseitig beschrieben waren, dienten uns in der Schule später als Schreib­papier.

Schon Anfang April 1945 hatte die Lieferung von elektrischem Strom gänzlich aufgehört. Mit zum Teil selbst hergestellten Kerzen hatte man sich notdürftig beholfen. Außerdem war es inzwischen auch Sommer geworden. Am 21.September 1945 floß erstmalig wieder Strom durch die Leitungen. Allerdings mußte äußerst sparsam damit umgegangen werden. Die Benutzung elek­trischer Geräte war verboten. Jedem war nur ein sehr beschränktes Kontingent an elektrischer Energie zugeteilt worden. Wer es überschritt, mußte damit rechnen, daß ihm die Stromzufuhr gänzlich gesperrt wurde.

Auch der Zugverkehr hatte seit etwa Mitte April

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völlig geruht. Seit Anfang August verkehrten aber auf der Strecke Templin-Fürstenberg täglich wieder zwei Zugpaare.

Die Not an Lebensmitteln war nicht nur in den Städten sondern teilweise auch auf dem Lande groß, besonders natürlich bei den Flüchtlingen, die erst nach und nach dazu kamen, sich z.B. ein paar Kaninchen zu füttern. Noch im Frühjahr 1947 lief mancher auf die Felder, um dort Melde zu suchen, jenes lästige Unkraut, aus der dann eine übel schmeckende Suppe gekocht wurde. Es kam hinzu, daß die Ernten der ersten drei Nachkriegsjahre ausgesprochene Mißernten waren.

Schon gegen Ende des Krieges war der Typhus immer häufiger aufgetreten. Es war daher ein großer Fortschritt, daß schon 1946 mit Impfungen begonnen wurde, um dieser Krankheit Einhalt zu gebieten. Aber auch das völlige Fehlen von Seife und anderen Waschmitteln machte sich übel bemerkbar. Besonders unter den Kindern verbreitete sich die Krätze stark. Es war ein Glück, daß es Schwefelpuder zu kaufen gab, um diese Hauterkrankung bald ganz verschwinden zu lassen.

Am 16.Februar 1946 brannte das nun fast 200 Jahre alte, vor etwa 25 Jahren aber völlig erneuerte Herrenhaus des früheren Gutes ab. Es war kein Löschgerät vorhanden, um dem Feuer Einhalt gebieten zu können. Ursache war ein stark überheizter Ofen im oberen Teil des Hauses, in dem sowjetische Frauen wohnten. Da in dem Hause aber auch noch mehrere Flüchtlingsfamilien untergebracht waren, wurde die Wohnungsnot nun noch größer.

Nachdem der größte Schrecken vorbei und das Leben im Dorf nach und nach wieder in geregelte Bahnen gekommen war, gab es eine erneute Aufregung, als im Jahre 1949 in dem Gelände der Revierförstereien Densow, Krams und Beutel ein Übungsplatz für sowjetische Truppen angelegt wurde. Das Gebiet liegt südlich der Straße von Densow nach Lychen, beiderseits der Straße von Annenwalde nach Kannenburg und erstreckt sich bis an die Havel. Riesige Flächen wurden abgeholzt. Tausende Festmeter Holz wurden am Rande des Waldes sowie in Densow und Neuplacht gelagert. Von weither kamen die Busse,

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die die Forstarbeiter heranbrachten. Ich erinnere mich nicht nur an Fahrzeuge aus Gransee und Zehdenick, sondern auch an solche aus Zossen und Forst. Zur Abfuhr mußten die Bauern aus den nördlichen Teilen des Kreises und aus dem Kreis Prenzlau jeweils eine Woche mit ihren Gespannen kommen. Inzwischen ist das Gebiet mehrfach erweitert worden. Jedesmal war für die Bewohner der umliegenden Ortschaften der Vorteil damit verbunden, daß sie sich kosten-los erhebliche Mengen Holz anfahren konnten. Ein schwerer wirtschaftlicher Nachteil war, daß die sogenannten Büdnerwiesen am Krams-See nicht mehr genutzt werden konnten. An das Rasseln der Panzer, die nicht nur auf dem Platz übten, sondern auch oft genug durch das Dorf fuhren und in den Kurven die Pflasterung aufrissen, sowie an die Detonationen der Geschosse auf dem Übungsgelände mußten wir uns mit der Zeit gewöhnen.

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4.7 Von der Bodenreform zur LPG


 

Obwohl schon am 8. September 1945 auch in der Provinz, dem nachmaligen Land Brandenburg, wozu der Kreis Templin damals noch gehörte, die "Verordnung über die Bodenreform in der Provinz Brandenburg" ergangen war und obwohl bald danach jemand aus Templin im Saal der Gaststätte vor wenig Zuhörern aus dem Dorfe darüber etwas gesagt hatte, wahrscheinlich recht unklar und un­bestimmt, war im Dorf in dieser Beziehung bisher nichts unternommen worden. Als im Februar 1946 das Gutshaus abgebrannt war, stand ich mit noch einigen Dorfbewohnern an der Brandstätte. Dabei kam dann in irgendeinem Zusammenhang die Frage nach der Eigentumsform des Jagdgutes, zu dem das abgebrannte Gutshaus gehört hatte. Im Herbst 1943 war in das Gutshaus ein Herr Kleeschulte eingezogen, der bis dahin einen Besitz in der Nähe von Müllrose (Bezirk Frankfurt/Oder) gehabt hatte. Dieser Besitz war angeblich für militärische Zwecke beschlagnahmt worden. Als Ausgleich hätte man ihm das Jagdgut Annenwalde zugewiesen, das aber doch auch Besitzer hatte. Jedenfalls war bis zum Ende des Krieges niemals eine Übertragung oder Übergabe erfolgt. Es stand aber fest, daß das Jagdgut 100 Hektar groß war und folglich unter die Bestimmungen über die Bodenreform fiel. Nach dieser Verordnung sollten Neubauernstellen von je etwa 10 ha geschaffen werden. Außerdem konnten Bürger, die kein oder nur sehr wenig Land besaßen, Land erhalten. Damals war oberstes Organ in dem von der Roten Armee besetzten östlichen Teil Deutschlands, der Ostzone, die "Sowjetische Militär-Administration in Deutschland" (SMAD). Ihre Befehle waren die derzeit gültigen Gesetze. Durch den Befehl 209 wurde angeordnet, daß für jede Neubauernstelle (Siedlerstelle) ein Haus mit Stall gehören solle und daß 1/2 ha Land unmittelbar beim Hause liegen müsse. Es wurde der Verordnung entsprechend eine Gemeindebodenkommission gebildet, der angehörten der Forstarbeiter Franz Haberland, der Arbeiter Willi Schulz, der Lehrer Walter Reschke und der Bürgermeister Franz Theelke. Für die Zuteilung einer Stelle hatten

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sich sieben Bewerber gemeldet. Es waren dies Erich Rohde, Julius Buß, Hermann Helmholz, Franz Bölkow, Heinrich Schmid, Ernst Zühlke und Helmut Kleeschulte. Die Bauplätze wurden auf der linken Seite des Glasweges abgesteckt. Als erster begann schon 1946 Erich Rohde mit dem Bau. Er war von Beruf Zimmermann, sein Vater war Maurer. Holz konnten die Siedler aus einem ihnen zugeteilten Waldstück der Staatsforst holen. Die Roh­des, die überaus erfinderisch waren, hatten sich mit einer Kreissäge und einem Elektromotor eine Vorrichtung gebaut, mit der sie dann Balken und Kantholz schneiden konnten. Um die Fundamente der Häuser zu bauen, riß man im Park die Mauern an den Terrassen ein und benutzte die so gewonnenen gut behauenen Feldsteine. Aber man brauchte auch noch Mauersteine, Dachziegel, Fenster, Türen usw. Daß alles noch herbeigeschafft werden konnte, will mir heute fast wie ein Wunder er­scheinen. Aber Ende 1949 konnten auch die letzten Häuser bezogen werden. Es waren aber nur 6 Häuser gebaut worden, da der Siedler Zühlke im ehemaligen Gärtnerhaus wohnen blieb. Er hat aber bald danach seine Siedlung aufgegeben und ist verzogen.

Der Anfang war überaus schwer. Die meisten hatten nur ein Pferd, das bei einigen auch kaum den Pflug ziehen konnte. Es fehlte an den nötigen Geräten und Maschinen. Die ersten Ernten waren, wie schon erwähnt, sehr schlecht. Die im Jahre 1949 gegründeten Maschinen-Ausleih-Stationen (MAS), später umbenannt in Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS), halfen in beschränktem Maße bei der Feldbestellung und bei der Ernte, für die man die noch vorhandenen Mähbinder einsetzte. Die für Annenwalde zuständige MTS befand sich in Lychen. Im Jahre 1952 wurde in der Feldscheune der Wirtschaft Prignitz ein Stützpunkt der Lychener MTS eingerichtet und ausgebaut. Der genannte Bauernhof war herrenlos geworden, da die Brüder Ernst und Karl Prignitz (ersterer mit seiner Familie) 1951 nach Westdeutschland gegangen waren. Das kam in jenen Jahren recht häufig vor. Man sagte dann: "Die haben sich abgesetzt", und etwas derber drückte man sich aus: "Die sind getürmt", oder "Die sind

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über die grüne Grenze gegangen." Im Januar 1953 hat dann auch der Landwirt Wilhelm Weitkamp (Besitzer des einen Restgutes) und im Frühjahr 1960 der Siedler Erich Rohde jeweils mit der ganzen Familie Annenwalde und die DDR verlassen. Das alles wurde begründet mit den teilweise recht schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen, unter denen nicht nur die Neubauern sondern auch die Besitzer größerer Wirtschaften arbeiten mußten. Daß aber diese wirtschaftlichen Verhältnisse nicht der alleinige Grund waren, ergibt sich schon daraus, daß von den Siedlern Herr Rohde die weitaus günstigsten Voraussetzungen hatte und daß seine Wirtschaft als ausreichend gefestigt angesehen werden konnte. Auch Herr Weitkamp hatte sich inzwischen einen für seine Wirtschaft fast ausreichenden Viehbestand herangezogen, obwohl 1945 alles Vieh weggetrieben worden war. Es war inzwischen möglich, der amtlich festgesetzten Ablieferungspflicht an pflanzlichen und tierischen Produkten nachzukommen. Wer dieses "Soll" erfüllt hatte, durfte die übrigen Erzeugnisse seiner Wirtschaft zu einem weit höheren Preis als "freie Spitzen" verkaufen. Jedenfalls sind nach seinem Weggang auf der Wirtschaft vorhanden: 14 Milchkühe, 11 Stärken, 5 Kälber, 14 Pferde, 4 Eber, 10 Sauen, 15 Ferke1, 67 Läufer und 19 Mastschweine.

In Annenwalde war also zunächst nur die Wirtschaft Prignitz herrenlos geworden. Es gab aber Dörfer im Kreis Templin, in denen mehrere Bauernhöfe ohne Besitzer waren. Auf diesen Wirtschaften befand sich noch Vieh, das gepflegt werden mußte. Es gehörte Land dazu, das bestellt werden sollte. Um das zu sichern, schuf man die "örtlichen Landwirtschaftsbetriebe", kurz ÖLB genannt. In Annenwalde übernahm Herr Ernst Filbrandt den Hof Prignitz und später auch die Wirtschaft Weitkamp als ÖLB. Auch die Siedlung des Herrn Buß kam dazu, da dieser aus Gesundheitsgründen die Siedlung aufgab. Herr Filbrandt hatte bis dahin in Densow gewohnt und war dort als Leiter der Holzabfuhr tätig gewesen. Inzwischen hatten sich in einigen Orten der DDR Einzelbauern zu "Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften" LPG zusammengeschlossen. Da auch in Annenwalde einige der

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Siedler, Herr Filbrandt und andere im ÖLB Tätige in solcher LPG eine Möglichkeit zu sehen glaubten, wie man schneller und besser vorwärts kommen könnte, gründeten sie am 13. April 1954 die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft "Befreite Erde". Zu den ersten Mitgliedern gehörten: Ernst Filbrandt und Frau, Wilhelm Horn und Frau, Hermann Helmholz, Franz Bölkow und Frau Gertrud Berg. Bölkow und Helmholz hatten ihre Siedlungen eingebracht. Von den Altbauern wurde nur Frau Berg Mitglied, die aber dann auch bald republikflüchtig wurde. Die erste Mitgliederliste umfaßte 29 Personen. Die meisten dieser Mitglieder hatten also kein Land eingebracht. Für viele von ihnen war die LPG nur eine Art Arbeitgeber. So waren denn nach wenigen Jahren viele von ihnen wieder ausgetreten oder verzogen. Der erste Vorsitzende war Herr Filbrandt. Dem Vorstand gehörten weiter an Wilhelm Dieckhoff, Ruth Bölkow, Franz Bölkow, Wilhelm Horn und Helmut Thiel. Die gesamte landwirtschaftliche Nutz-fläche der LPG betrug bei der Gründung 191,55 ha. Durch den Staat wurden in den ersten Jahren ohne Schwierigkeiten erhebliche Kredite gegeben, sodaß man recht großzügig leben konnte. Es wurden kostspielige Anschaffungen gemacht. So wurde eine Beregnungsanlage gekauft, ohne daß man überlegt hatte, wo man sie rentabel einsetzen könne. So mußte man sie einige Jahre später mit Verlust wieder abgeben. Ein Elektrokarren und ein dazu gehöriges großes Ladegerät für die Akkumulatoren wurden nicht sorgfältig behandelt und überlebten nur wenige Jahre. Bald kam die Zeit, da man für die Kredite auch die Zinsen erarbeiten mußte. So wurde die Schuldenlast von Jahr zu Jahr größer. Es gab Zwistigkeiten in der LPG. 1957 verließ Herr Filbrandt mit Familie Annenwalde und zog nach Friedrichswalde. Den Vorsitz übernahm Herr Joachim Krempig aus Densow. Er war 1932 geboren. Nach seiner Schulzeit hatte er die Landwirtschaft bei einem Bauern in Kaakstedt erlernt. Er besuchte die Landwirtschaftsschulen in Angermünde und Oranienburg. Er war staatlich geprüfter Landwirt.

Inzwischen waren weitere Wirtschaften in die LPG

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eingebracht worden. Meist geschah das, weil die Besitzer wegen ihres Alters oder wegen mangelnder Arbeitskräfte die Wirtschaft nicht mehr weiterführen konnten. Ein Verkauf war praktisch unmöglich, weil sich zu jener Zeit kein Käufer für eine Landwirtschaft fand. So waren u.a. hinzugekommen 1955 Emil Bohm-Densow mit 11 ha, 1958 Karl Müller-Annenwalde mit 6 ha und Erich Horn vom Vorwerk Annenwalde mit 9 ha. 1959 waren es Albert Raue-Annenwalde mit 7 ha und Emil Lemke vom Vorwerk mit 5 ha. Zu Beginn des Jahres 1960 gab es kaum noch ein Dorf, in dem nicht eine LPG bestand. Es gab aber andrerseits nur wenige Dörfer, in denen alle Bauern Mitglied der LPG waren. So lagen die der LPG gehörenden Ackerstücke zum Teil verstreut in der Feldmark. Es gab nur wenige zusammenhängende Flächen, auf denen der Einsatz der modernen Technik lohnend gewesen wäre. Aus diesen und anderen wirtschaftlichen und vorwiegend politischen Gründen wurde im Frühjahr 1960 in der ganzen DDR eine Bewegung gestartet, um auch die letzten Einzelbauern zum Eintritt in die LPG zu veranlassen. Alle politischen Funktionäre aus den Kreisen und Bezirken verfügten sich in die Dörfer, und gruppenweise begab man sich zu den einzelnen Bauern. Mit Argumenten, die zum Schluß dann nicht schon nicht mehr nur Argumente waren, erreichte man nach und nach die Zustimmung und die Unterschrift. In den Zeitungen las man täglich die Meldungen, welche Dörfer nun schon "vollgenossenschaftlich" waren, bald waren es ganze Kreise und nach wenigen Tagen die ersten Bezirke. Am 15. März 1960 unterschrieben auch in Annenwalde die letzten Bauern und einige kleinere Besitzer ihre Eintrittserklärung für die LPG. Das alles erhielt dann den Namen "sozialistischer Frühling". Für die Mehrzahl der Beteiligten war es kein freudiges Ereignis. Folgende Besitzer traten in die LPG ein:

Johannes Bohm

13,97 ha

 

Anna Stutz 12,35 ha

Otto Collin

9,35 ha

 

Erwin Rohde 8,93 ha

Karl Ewald

3,75 ha

 

August Haberland 2,29 ha

Hermann Horn

2,28 ha

 

Dora Schilling 1,61 ha

Ernst Kolloff

1,57 ha

 

Anna Haberland 1,50 ha


 

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Die Gesamtgröße der LPG betrug jetzt 393 Hektar.

Nun genügte es aber nicht, seinen Eintritt in die LPG zu erklären und den gesamten Acker und die Wiesen einzubringen, sondern es mußte auch noch ein sogenannter Inventarbeitrag gezahlt werden. Dieser Inventarbeitrag in Höhe von 500 Mark pro Hektar eingebrachter Fläche wurde aber nun meist nicht in Geld gezahlt, sondern indem lebendes und totes Inventar (Pferde, Kühe, Schweine, Wagen, Pflüge usw.) abgegeben, abgeschätzt und dann angerechnet wurden. Bei einigen Besitzern war der Wert dieses der LPG übergebenen Inventars höher als der zu leistende Beitrag. Im Laufe der Jahre aber wurde dieser überzahlte Inventarbeitrag von der LPG zurückerstattet.

Im Herbst 1959 war nach Annenwalde eine neue Gemeindeschwester gekommen, Frau Gisela Wettig. Ihr Mann war Landwirt und hatte angeblich vorher in Westdeutschland ein großes Gut verwaltet. Er trat auch in die LPG ein und war zunächst Brigadier. Er war überaus forsch und verstand es in sehr geschickter Weise, bei den übergeordneten Organen im Kreis Eindruck zu erwecken. Er meinte nachweisen zu können, daß in der LPG Annenwalde nicht gut gewirtschaftet würde und daß die Leitung durch den derzeitigen Vorsitzenden nicht genüge. Da er sich mit der Zeit auch bei vielen Mitgliedern die entsprechende Resonanz verschafft hatte, wurde er 1960 zum Vorsitzenden gewählt. Herr Krempig blieb zunächst als stellvertretender Vorsitzender. Bald aber schied er ganz aus und ging zum Kreislandwirtschaftsrat.

Der neue Vorsitzende ging auch mit Elan an seine Arbeit. In der LPG-Küche, in der vorher nur in der Saison gekocht worden war, um die Traktoristen der MTS zu verpflegen, wurde jetzt täglich gekocht. Ein großer Teil der Mitglieder nahm mit der ganzen Familie an der guten und billigen Mittagsmahlzeit teil. Die der LPG dadurch entstehenden Kosten waren allerdings erheblich und überstiegen die finanziellen Möglichkeiten.

Vorteilhaft war es, daß es Herrn Wettig gelang, den Maurerpolier Arthur Collin für die LPG zu gewinnen. So war es möglich, jetzt eine Baubrigade zu bilden.

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Es sind seitdem viele Arbeiten durch diese Brigade ausgeführt worden, für die man Baufirmen kaum bekommen hätte. Wenn aber, dann wären die-Arbeiten sehr viel teurer geworden. So wurden fast alle der Genossenschaft gehörenden Wohnungen repariert. Im ehemals Weitkampschen Hause wurde in zwei Zimmern ein Kulturraum eingerichtet.

Die 1934 erbaute Feldscheune, allgemein als Siedlerscheune bezeichnet, weil vor der Gründung der LPG die Siedler hier ihr Getreide einlagerten, wurde zu einem Schweinestall umgebaut. Der Kuh-stall wurde erweitert. Aber auch in der Gemeinde wurden wichtige Arbeiten durchgeführt. Manches der 100 Jahre alten Häuser ist so vor dem Zerfall gerettet worden.

Obwohl die Familie Wettig kinderlos war und beide Ehepartner gut verdienten, reichte das Geld anscheinend nicht. Jedenfalls gab es in den Finanzen der LPG Unklarheiten. Auch sonst stimmte wohl in den Angaben des Herrn Wettig einiges nicht. So mußte er schon im Mai 1961 sehr plötzlich ausscheiden. Die Eheleute Wettig verzogen dann auch in Kürze. Der stellvertretende Vorsitzende Erich Horn mußte nun den Vorsitz übernehmen und wurde auch in der Vollversammlung am 14.11.1961 als Vorsitzender bestätigt. Sein Stellvertreter wurde Herr Ulrich Stutz.

Die von Jahr zu Jahr spürbarer werdende wirtschaftliche Stabilisierung in der DDR und die fortschreitende Technisierung machten sich auch in der LPG bemerkbar. Es wurde möglich, die unterschiedliche Bodenbeschaffenheit der einzelnen LPG'n bei der Ablieferungspflicht zu berücksichtigen. Man unterschied im Kreis natürliche Standorteinheiten (NStE) von D1 bis D5. Zu den schlechtesten NStE D1 gehören z.B. Beutel und Densow. Zur besten D5 gehört nur die Gemeinde Flieht. Annenwalde gehört mit 10 andern Gemeinden nach D2. Danach zeichnete sich im Feldbau schon eine gewisse Spezialisierung ab. Die bisher erzwungene Vielfalt der anzubauenden Feldfrüchte wurde eingeschränkt. In den ersten Jahren waren noch der Anbau von Raps, Lein, Mohn und Zuckerrüben vorge­schrieben. Damit hörte man nach und nach ganz auf.

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Größere Bedeutung gewann der Anbau von Mais. 1936 hatte man auf dem damaligen Jagdgut auch schon einmal in größerer Menge Mais angebaut. Aber der wurde erst reif als Körnermais geerntet. Jetzt läßt man den Mais nur bis zur Milchreife gedeihen. Der mit dem Mähhäcksler geerntete Mais wird vom Feld gleich in den Erdsilo gefahren. Die Silage bildet einen wichtigen Teil des Winterfutters für den erheblichen Rinderbestand.

Als im Jahre 1963 die MTS aufgelöst wurden, übernahm die LPG einen Teil der im Stützpunkt vorhandenen Traktoren und Acker-geräte. Der Stützpunkt selbst wurde weiter ausgebaut und eine LPG-eigene Schmiede und Reparaturwerkstatt eingerichtet. Heute (Anfang 1970) besitzt die LPG u.a.

2 Traktoren "Pionier" je 45 PS

2 Traktoren "Famulus" je 45 PS

2 Traktoren "Utos" 45 bzw.65 PS

1 Geräteträger RS 09

1 Kran T 157 und 2 Mähdrescher.

Mit dem Mähdrescher wurde erstmalig 1957 geerntet. Damals gehörte er noch der MTS. 1969 wurde der zweite Mähdrescher gekauft. Gerade der Einsatz des Mähdreschers hat seiner Zeit das größte Aufsehen erregt und die größten Bedenken ausgelöst. Im Gegensatz zu dem aus Hocken oder Stiegen geernteten Getreide hatten die Körner aus dem Mähdrescher noch einen sehr hohen Feuchtigkeitsgehalt. Sie mußten also im Lager noch nachtrocknen und durften deshalb nicht hoch aufgeschüttet werden. Dazu fehlte es aber an dem nötigen Lagerraum. Nun bestand die Tendenz, und es wurde diesbezüglich auch eine große Propaganda entfaltet, das abzuliefernde Getreide möglichst schnell an den allein dafür zugelassenen Betrieb, den VEAB (volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetrieb) abzugeben. Auch dort hatte man in den ersten Jahren weder die nötigen Lagereinrichtungen noch die geeigneten Trockengeräte. So wurde das nasse Getreide, zum Teil unter freiem Himmel, hoch aufgeschüttet. Natürlich erhitzte es sich sehr stark, sodaß erhebliche Mengen verdarben. Durch den Aufbau großer Getreidesilos und die Installation leistungsfähiger Trockeneinrich-

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tungen konnten die zuerst aufgetretenen Mängel beseitigt werden. Für das selbst als Futter und zur Aussaat benötigte Getreide hat sich die LPG auf dem Boden der großen Scheune eine eigene Trockenanlage eingebaut.

1964 war Herr Krempig wieder zur LPG Annenwalde gekommen. Er war zunächst als Feldbaubrigadier tätig. In der Jahreshauptversammlung am 17.1.1966 wurde er erneut zum Vorsitzenden gewählt. Herr Otto Collin wurde stellv. Vorsitzender und Herr Stutz Feldbaubrigadier.

Nicht nur in der Technik hat sich bei der Annenwalder LPG manches gewandelt, auch die Menschen haben sich geändert. Zwischen den Mitgliedern, ob sie nun ehemals Bauern, Siedler oder Arbeiter waren, besteht ein gutes Verhältnis. In keinem Falle haben sich etwa entsprechend der früheren sozialen Schichtung Gruppen gebildet. Und gerade diejenigen, die im März 1960 nur schweren Herzens ihre Eintrittserklärung unter-schrieben hatten, sind heute die Vorwärtsdrängenden. Leider gibt es noch einige Mitglieder, die teils durch Unehrlich-keit, teils durch schlechte Arbeit wegen übermäßigen Alkohol-genusses den Fortschritt der LPG hemmen, sodaß Annenwalde mit seinem Produktionsergebnis und seinen Leistungen an die Mitglieder immer nur im Mittelfeld der LPG'n des Kreises liegt.

Die hier aufgezeigte Entwicklung der LPG, wobei eigentlich nur einzelne äußere Erscheinungsformen dieser Entwicklung dargestellt werden konnten, ist nicht beendet. Es ist schon heute zu erkennen, daß sich weitere, zum Teil grundlegende Veränderungen vollziehen werden. Während ich die letzten Seiten dieser Chronik schreibe, hören und lesen wir fortwährend die Namen Perspektive und Prognose. Wir verstehen dabei unter Perspektive die Planung für einen überschaubaren Zeitraum von etwa 5 Jahren, unter Prognose die Erarbeitung von Gestaltungsplänen entsprechend der nicht einwandfrei vorausschaubaren wissenschaftlich-technischen Entwicklung für einen Zeitraum von vielleicht 20 Jahren. Da in unserm Staat die Planung zentral erfolgt und aus zentral vorgegebenen Richtwerten erst die Planung in den Bezirken, Kreisen, Gemeinden und den Betrie-

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ben erfolgen kann, muß auch in der LPG zunächst eine abwartende Haltung eingenommen werden. Das ist allerdings wieder sehr schwierig, da z.B. die Stallbauten unzureichend sind. Der Kuhstall ist alt und verbraucht, die Schweineställe zu klein und unzusammenhängend. Es wird wohl Jahr für Jahr für Jahr etwas gebaut, aber grundlegend verändert kann nichts werden. Ein ausreichender Einsatz der heute schon angebotenen Technik und eine dadurch mögliche Erleichterung der Arbeit für die in den Ställen beschäftigten Genossenschaftsbauern ist nicht möglich. Es müßten große Baueinheiten geschaffen werden. Das aber wieder läßt sich nur verwirklichen durch den Zusammenschluß mehrerer LPG‘n in einer Kooperationsgemeinschaft. Davon wird wohl viel gesprochen, aber man kommt nicht vorwärts. Doch ist mit Sicherheit, zu sagen, daß nur eine wirklich enge Kooperation mit den benachbarten LPG'n in Beutel, Neuplacht und Densow das Ergebnis der Arbeit der nächsten Jahre sein muß.

Aber vorausschauend zu sagen, wie sich die Geschicke des Dorfes, dessen bisherige Geschichte ich darzustellen versucht habe, in 50 oder gar 100 Jahren gestalten werden, dazu ist niemand in der Lage. Wie aber die Entwicklung auch immer läuft, möge den Menschen dieses Dorfes Glück und Frieden beschieden sein!

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