In den Vorbemerkungen habe ich ausgeführt, dass das europäische und deutsche Umfeld für die Gründung von Annenwalde eine bedeutende Rolle spielten. In diesem Abschnitt möchte ich nun nicht zu vernachlässigende Entwicklungen aufzeigen.
Das Jahrhundert von 1650 bis 1750 war eindeutig geprägt vom Dreißigjährigen Krieg. Doch wie kam es zu diesem furchtbaren Ereignis.
In Europa fand Frankreich bereits sehr früh zur Einheit des Nationalstaates. Unter der Herrschaft der Karolinger und verstärkt unter König Ludwig IX. im 13. Jahrhundert wurde dieses Land weiter zentralisiert und erreichte dann im 17. Jahrhundert bereits einen Höhepunkt im Absolutismus.
Die Französische Revolution von 1789 markierte einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung des modernen französischen Nationalstaats, der auf dem Prinzip der Volkssouveränität basiert.
Die Entwicklung Englands zum Nationalstaat begann im 10. Jahrhundert mit der Herrschaft von König Æthelstan, der das Königreich Wessex mit anderen angelsächsischen Königreichen vereinigte und so das Königreich England schuf. Es wurde im Laufe der Zeit immer weiter zentralisiert und entwickelte so eine eigene Identität als Nation. Im Gegensatz hierzu bildete sich im römisch-deutschen Reich, dass sich als Nachfolger des Römischen Reiches verstand, niemals eine starke Zentralmacht aus. Es war eine Art Staatenbund mit teilweise mehr als 300 eigenständigen Territorialstaaten. Die Herrschaft dieser Einzelstaaten lag teilweise in außerdeutschen europäischen Herrschaftshäusern. Zusammen mit der Reformation Luthers von 1517 und der Bildung einer eigenständigen lutherischen Kirche 1530 führte dies zu einem Spannungsfeld, dass seine Entladung im Beginn des 30-jährigen Krieg 1618 fand. Die Erfindung der Druckerpresse im 15. Jahrhundert und der daraus folgenden Alphabetisierung unterstützte die schnelle Ausbreitung von neuen Ideen und löste eine Medienrevolution aus. Aus der sich resultierenden stärkeren Einbindung weiterer Bevölkerungsteile wurden diese Prozesse begünstigt. Weiterhin ergab sich zwischen 1500 und 1600 ein Anstieg der Bevölkerung im Deutschen Reich um ein Viertel , von 12 auf 15 Millionen. Durch die Entdeckung Amerikas durch Columbus 1492 ergab sich in der Folge ein Zustrom südamerikanischer Edelmetalle, hauptsächlich Silber, nach Spanien, was eine Inflation auslöste. Die steigenden Preise für Lebensmittel wie Getreide bewirkten im Endeffekt einen sichtbaren Kontrast zwischen Arm und Reich mit entsprechenden sozialen Konflikten. (siehe: https://www.stefanjacob.de/geschichte/unterseiten/zeittafeln/deutschland-in-der-fruehen-neuzeit) Dies alles begünstigte nicht nur den Krieg, sondern bewirkte auch eine Zunahme der Hexenverfolgungen zwischen 1580 und 1620. Dieser Hexenwahn scheint ein Reaktion auf die Strapazen einer Zeit voller Probleme gewesen zu sein und scheint mir in unserer heutigen Zeit seine Entsprechung im rechtsextremistischen Fremdenhass zu finden.)
Im Dreißigjährigem Krieg kämpften die verschiedenen europäischen Mächte auf deutschem Boden um die Vorherrschaft in Europa. Gewinner waren die Niederlande und die Schweiz, die beide ihre Unabhängigkeit erlangen. Hauptgewinner jedoch waren Schweden und Frankreich, die zum einen Teile des Reiches in Norddeutschland und zum anderen Bistümer in Lothringen erhielten und ihre europäische Macht festigten. Spanien dagegen verlor seine Machtposition in Europa und für Frankreich wurde die Basis gelegt für seinen späteren Aufstieg zur beherrschenden europäischen Macht. Der Westfälische Friede von 1648 schuf für Deutschland eine Ordnung, in der die römisch-katholische und die protestantische Konfession wieder zusammenleben konnten. Der Habsburger Kaiser blieb noch erhalten; seine Position wurde jedoch geschwächt. Dagegen gewonnen die Stände im Deutschen Reich und dadurch erreichte das Reich eine Struktur mit einer gewissen Dauerhaftigkeit. Allerdings führte dies zu einer Kleinstaatlichkeit und durch die Vermeidung einer Zentralmacht in Deutschland zu einer Schwächung in Mitteleuropa, die den Gewinnern sehr entgegen kam.
Die Furchtbarkeit des Krieges steigerte sich ab 1625 mit der Ernennung Wallensteins zum Führer einer eigenen Armee auf kaiserlichen Seite. Durch die geänderte Finanzierung wurde dieser Krieg einzigartig. Vorher mussten die Heerführer die Finanzen ihrer Söldner selber organisieren. Wallenstein führte ein, dass der Krieg den Krieg selbst ernährt. Dies bedeutet, dass alle Bewohner, egal ob katholisch oder protestantisch, eines Gebietes, durch das seine Armee zieht, Kontributionen zahlen müssen und zwar in Bargeld. Diese sich immer weiter verschärfende Belastung der Bevölkerung erzielte die totale Ausbeutung. Wenn die Menschen nicht mehr zahlen können, zieht die Armee weiter. Der Erfolg dieser Methode ist unendliches Leid. Man kann davon ausgehen, dass die Bevölkerung Deutschlands um ca. ein Drittel reduziert wurde. Die Auswirkungen durch Entvölkerung ganzer Regionen und das veränderte Gleichgewicht der Mächte können bis heute in ganz Europa beobachtet werden. Deutschland erreichte erst im 18, Jahrhundert wieder die Bevölkerungszahl von 1618. Wobei die Folgen nicht gleichmäßig verteilt sind. Besonders betroffenen Gebiete sind:
Württemberg mit 50%; Böhmen mit 40%, Sachsen mit bis zu 30% und Brandenburg mit ca. 25% Verlust an Bevölkerung. Einige Gebiete am Rande des Reiches wie Österreich oder auch Hamburg blieben weitgehend verschont. Verachtungswürdig war die aus den Siegen in Schlachten resultierende Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Ganze Städte und Dörfer worden zerstört oder entvölkert; die Landwirtschaft brach zusammen und die Überlebenden starben an Hunger oder Krankheiten.
Leider war aber der durch den Krieg erreichte Zustand in keiner Weise stabil. Verschiedene Mächte versuchten weiterhin, ihre Machtpositionen in Europa zu verstärken. Dies führte zu weiteren Kriegen, wie:
Der 2. Nordische Krieg (1655 - 1660)
Der Schwedisch-Brandenburgische Krieg (1674 - 1679)
Der Spanische Erbfolgekrieg (1701 - 1714)
Der Österreichischen Erbfolgekrieg (1740 - 1748)
Der Erste Schlesische Krieg (1740 - 1742)
Der Zweite Schlesische Krieg (1744 - 1745)
Der Siebenjährige Krieg (1756 - 1763)
In allen diesen Kriegen waren Brandenburg oder Preußen verwickelt.
Nach unseren eigenen Erfahrungen der Traumatisierung durch den 2. Weltkrieg sollte man annehmen, dass die deutsche Bevölkerung durch den 30-jährigen Krieg psychologisch stark beeinträchtigt war. Doch gibt es keine Aufzeichnungen aus historischen Unterlagen, die dies bestätigen. Die Leiden waren wohl verdrängt oder mehr noch, im Rahmen der Religion verarbeitet worden. So bleiben von den Auswirkungen die politischen und wirtschaftlichen übrig, auf die ich mich im folgenden konzentrieren werde.
Für Preußen und Brandenburg ergibt sich, dass die Kurfürsten und spätere Könige in erster Linie die Ausweitung ihres Herrschaftsgebietes verfolgten. Parallel dazu versuchten sie, die Bevölkerungsreduzierung und die infrastrukturellen Schäden zu revidieren. Dem Wiederaufbau des Landes galt es daher die gleiche Wichtigkeit zu geben wie der Arrondierung des Hoheitsgebietes. Bei allen Gebietsänderungen, wie zum Beispiel durch revidierte Erbfolgen musste die Balance der Konfessionen im Alten Reich auf diplomatischen Wegen erhalten bleiben.
Als Folge der Zerstörungen in der Mark Brandenburg verlegte Kurfürst Georg Wilhelm (1595 - 1640) im August 1638 den Hofstaat in das unzerstörte Königsberg im Herzogtum Preußen. Sein Sohn, der spätere „Große Kurfürst“ Friedrich Wilhelm (1620 - 1640), der einen Teil seiner Jugend und Erziehung beim Onkel seiner Mutter, dem Statthalter Heinrich Friedrich von Oranien verbracht hatte, konnte im Westfälischen Frieden keine gebietsmäßigen Vorteile erringen.
Brandenburg-Preußen konnte als mindere Macht seine politischen Ziele aus eigener Kraft noch nicht erringen. Als er 1688 starb hatte er Brandenburg-Preußen zur Mittelmacht geführt und zur zweiten Macht nach Österreich im alten Deutschen Reich. Seine opportunistisch-pragmatische Politik führte zu einer Abrundung seiner Gebiete und durch die Schlacht von Fehrbellin 1675 zum Grundstein des Aufstiegs Preußens zur Großmacht. Durch sein Toleranzedikt von Potsdam 1685 kamen rund 20000 Hugenotten aus Frankreich um in Brandenburg die verödeten Städte neu zu bevölkern. Zudem brachten sie wirtschaftliche Fertigkeiten und Manufakturen mit, die zum Wiederaufbau des Landes unschätzbare Hilfe leisteten.
Seit dem Ende des 30-jährigen Krieges wurde Preußen, wie das Vorbild Frankreich, unumschränkt absolutistisch regiert. Die gesamte Verantwortung der Entwicklung des Staatswesens hing also von der Persönlichkeit des Herrschers ab. Bis hin zu Friedrich I., dem ersten „König in Preußen“ (reg. 1688 - 1713), steigerte sich der finanzielle Niedergang des Landes durch verschwenderische Hofhaltung und Korruption in der Regierung bis zu einem unsäglichen Höhepunkt. Erst mit dem Regierungsantritt von Friedrich Wilhelm I. , dem „Soldatenkönig“ änderten sich die Ziele der Herrschaft. Nun rückte die Machtstellung des Staates in den Mittelpunkt. Er begriff sich aus seiner protestantischen Amtsauffassung heraus nicht so sehr als Monarch von Gottes Gnaden, denn als Inhaber eines „Amtes“. Er verstand sich als Ausführender einer von Gott gegebenen „Funktion“. Die Mittel, um diese Funktion auszufüllen, waren für ihn ein starkes Militärwesen sowie innenpolitisch eine sparsame Hofhaltung und ein effiziente Verwaltung. Verbunden wurde dies mit einer toleranten Religionspolitik, mit der er 15000 Salzburger Protestanten eine neue Heimat bot. Damit unterstütze er den Wiederaufbau seines Landes, um die Bevölkerungszahl wieder auf Vorkriegshöhe zu bringen. Mit seiner Politik schuf er das Bild der preußischen Tugenden, die noch bis weit in das 20. Jahrhundert Bestand hatte.
Sein Umbau des Staates, der nun auf einer starken Militärmacht und geordneten Finanzen basierte, seiner umfassenden Reformen auf fast allen innenpolitischen Bereichen gab ihm in der Geschichtswissenschaft den Titel des „Preußens größten inneren König“. Seine Stärkung der Wirtschaft durch Förderung von Handwerk, Manufakturwesen und Handel mündeten bei seinem Tode 1740 in einem schuldenfreien Haushalt und einem Staatsschatz von 2 Millionen Talern, der in Fässern in seinem Berliner Schloss lagerten. Sein Bild wird verfälscht durch seiner Marotte, den Militarismus auf die Spitze zu treiben. Seine „Langen Kerls“, die niemals einen echten soldatischen Wert besaßen, kosteten Unsummen. Mit seiner Verschlankung der Finanzverwaltung, der Wieder- und Neuansiedlung zur Wiederbevölkerung wüster Gebiete leistete er Bemerkenswertes. Ein nicht nur in seiner Zeit Vorbildhaftes schuf er durch seine kontrollierte Einwanderungspolitik verbunden mit einer tolerante Religionspolitik. Er gewährte angeworbenen katholischen Arbeitern genauso freie Religionsausübung wie er den zugezogenen französischen Hugenotten einen Gebetsraum im Stadtschloss einrichtete. Sogar für islamische Soldaten, die nach dem russisch-türkischen Krieg 1729 über Kurland nach Potsdam kamen, lies er einen Gebetsraum im Militär-Waisenhaus einrichten. Er war damit der erste christliche König, der Muslimen in der Ausübung ihrer Religion unterstützte. Nur für die Juden bestanden die Beschränkungen fort.
Relativ unbekannt ist die Tatsache, dass er das Kolonialexperiment seines Großvaters
Friedrich I. beendete. Dieser hatte durch westafrikanische Besitzungen am Sklavenhandel teilgenommen und das Geld für seine Berliner Schlösser erworben. Friedrich Wilhelm I. verkaufte diese Kolonien an die Niederländer. Dadurch erwirkte er einen zweifachen Vorteil. Erstens vergrößerte er seinen Staatsschatz und zweitens ging er als Mittelmacht den Kolonialkonflikten mit den europäischen Großmächten aus dem Weg. Leider lies sich Bismarck später dazu hinreißen, doch wieder das Spiel mit den Kolonien zu beginnen. Mit dem Erfolg, geschichtliche Auseinandersetzungen zu schaffen, die wie am Beispiel Namibia (“Deutsch-Südwest-Afrika”) bis in unsere Zeit hineinreichen. Obwohl er als Soldatenkönig bekannt wurde und ein starkes stehendes Heer schuf, nahm er damit nur an einem Krieg teil. In einem kurzen Feldzug von 1715 gewann er durch den Frieden von Stockholm 1720 die Stadt Stettin mit dem Gebiet zwischen Oder und Peene, die Inseln Usedom und Wollin und das Oderhaff mit den zugehörigen Flussmündungen.
Auch auf dem Bereich der Bildungspolitik leistete er Bedeutendes indem er 1717 die Schulpflicht einführte. So stieg im Laufe seines Lebens die Anzahl der Dorfschulen von 320 auf 1480 im Jahre 1740.
Friedrich Wilhelm I. war insgesamt ein Monarch und Mensch mit Widersprüchen. Auf der einen Seite Militarist, dabei tief religiös. Für seine Zeit völlig untypisch bestand er auf Sauberkeit und Hygiene, um Krankheiten zu vermeiden. Dabei bevorzugte er deftige Hausmannskost, die seiner Gesundheit abträglich war. Sein bekanntes privates Vergnügen war das Tabakkollegium, in dem ein rauer Ton herrschte. Auf der anderen Seite hielt er keine Mätressen, die seine Herrscherkollegen für zwingend erforderlich hielten. Obwohl mit Deutsch und Französisch aufgewachsen, konnte er nur phonetisch schreiben. Seine Begeisterung für die Künste war begrenzt.
Vieles von dem, was an positiven Errungenschaften seinem Sohn Friedrich II. (der Große) zugeschrieben wurde, hatte er begonnen. Als Beispiel mag die Landschaffung im Oderbruch gelten. Unter seiner Herrschaft wurden 1717 vom Kammerrat Martin Friedrich Creutz die ersten Deiche begonnen, die später zur Melioration (Bodenverbesserung) des Bruchs führten. So wurden viele Voraussetzungen für die Gründung von Dörfern wie Annenwalde von ihm geschaffen.
Soweit der Zeitraum vor der Gründung Annenwaldes aus europäischer und deutscher Sicht. Er wurde geprägt vom Dreißigjährigem Krieg und dem abschließenden Westfälischen Frieden. Die Politik in jener Zeit wurde von den jeweiligen Herrschern geformt, denn es war die Phase des Absolutismus.
Im nächsten Unterkapitel wende ich mich nun der Wirtschaftspolitik in Preußen zu. Der Merkantilismus unter Friedrich II. gab die letzten Anstöße zur Gründung unseres Dorfes.